Zur Lage der Nation

Bemerkungen zur Sprache, Literatur, Kultur, Politik und

zu den Medien in Deutschland

 Herausgegeben von Helmut Arntzen

 

Nummer 1 (März 2002)


Inhalt:



 

Dialog mit einem Bundespräsidenten


An den
Herrn Bundespräsidenten
Dr.h.c. Johannes Rau
Schloß Bellevue

B e r l i n

27.Juli 2001

persönlich

 




Sehr geehrter Herr Bundespräsident,

am 25. Oktober 2000 erlaubte ich mir, Ihnen zur Lektüre zwei meiner Bücher zuzuschicken: „Deutschland, ein Winter-“ und „Streit der Fakultäten“. Nach über zweieinhalb Monaten, nämlich unter dem 12. Januar 2001, gab mir in Ihrem Auftrag Frau Dr. Domansky die Bücher mit dem Bemerken zurück,Sie seien „dem Lesen sehr verbunden“, könnten aber meine „Werke nicht in spezieller Weise fördern“. Dies hatte ich nun freilich weder erwartet noch gar erbeten. Ich hatte aus Gründen, die ich noch erläutern darf, geglaubt, Sie als der gegenwärtige Bundespräsident könnten an der Sache zumindest eines der beiden Bücher interessiert sein. Dies galt für Sie ebenso wie für den gegenwärtigen Bundesinnenminister, der mir in seiner Antwort versprach, beide Bücher zu lesen,was nicht von ferne in mir den Wunsch weckte, mit dieser Antwort hausieren zu gehen. Das scheint anders zu sein mit einem journalistischen Autor, der einen historischen Roman publizierte, und auf dem Prospekt mit Worten von Ihnen wirbt. *

* In dem Prospekt des Buches von Wulf Mämpel, Lokalchef der Essener Westdeutschen Allgemeinen Zeitung, “Im Zeichen des Roten Falken“ steht u.a. „‘Der Gedanke der Toleranz zwischen den Religionen ist in der Tat ein Schwerpunkt meiner Amtszeit, sowohl im Inland als auch bei meinen Staatsbesuchen im Ausland. – Ich bin deshalb neugierig darauf zu erfahren, wie der Verfasser das Thema in einem historischen Roman anpackt.‘ Bundespräsident Johannes Rau“ . [Diese Anmerkung steht nicht im Brief an den Bundespräsidenten]



Die Gründe für meine Zusendung, von denen ich einige in dem formalen Anschreiben handschriftlich andeutete, waren mannigfacher Art. Einmal bestand der Wunsch, meinen Blick auf die deutschen Dinge in 50, vor allem in den letzten 10 Jahren und angesichts der Jahrhundertwende dem Staatsoberhaupt zur Prüfung vorzulegen, ein legitimer Wunsch, denke ich. Es gab ferner den Wunsch eines Siebzigjährigen, einem Siebzigjährigen diese Sicht zu vermitteln. Einem Siebzigjährigen? Das muß etwas genauer gesagt werden. Es beginnt mit der isoliert betrachtet noch wenig bedeutsamen großen Nähe unserer Geburtstage. Es ist aber die Altersnähe zweier Menschen, die unter ähnlichen, jedenfalls vergleichbaren mentalen und sozialen Bedingungen aufgewachsen sind. Ich meine damit natürlich nicht nur die gemeinsame Zugehörigkeit zu einer deutschen Generation, ich meine damit vor allem, daß Sie wie ich einem u.a. landschaftlich sehr ähnlichen Umfeld entstammen (ich komme aus dem südlichen Duisburg), daß unsere Erziehung (auch) pietistisch geprägt war, daß wir die sog. evangelische Jugendarbeit in Gestalt der Schülerbibelkreise durchlaufen haben und die „Jungenwacht“ lasen und Texte zu ihr beitrugen. Es schließt sich an, daß Gustav Heinemann eine politische Leitfigur für mich, für Sie erst recht wurde, für dessen Notgemeinschaft für den Frieden Europas man Unterschriften sammelte, und daß es auf diesem Hintergrund zu ganz entfernten privaten Beziehungen kam. Sie sehen, Herr Bundespräsident, daß die Gründe für die Zusendung meiner Bücher überhaupt nichts mit den von Ihrer Mitarbeiterin insiniuerten, wohl aber mit für Sie doch wohl nicht uninteressanten zu tun hatten.

Aber die genannten allein hätten mich immer noch nicht veranlaßt, Ihnen jene zuzuschicken. Vielmehr gehört zu dem Entschluß ganz wesentlich, daß ich zwar als Professor nicht von Ihnen berufen und ernannt wurde, das geschah noch unter Ihrem Vorgänger Holthoff, daß Sie aber doch zu Anfang der siebziger Jahre zum Wissenschaftsminister bestellt und damit der Repräsentant meines Dienstherrn wurden. Ich kann nicht mehr sagen, ob Sie mir als Politiker schon zur Zeit Ihrer Ernennung bekannt waren, aber Sie müssen es dann sehr bald, und zwar über die Tatsache Ihrer Ministerschaft hinaus, geworden sein. Bekannt wurden Sie mir in dem Sinne, daß Sie mir als ein anderer denn Ihre Politikerkollegen erschienen, als einer, der anders sprach und, wie es schien, auch anders zu denken vermochte,der, interessant genug, gerade darum nicht wie ein Politiker gewohnten Zuschnitts wirkte.-

1968 kam ich aus Berlin nach Münster, und alsbald holten mich dort die Geschehnisse ein, die von den sogenannten Achtundsechzigern ausgingen. Sie sind gerade in den letzten Monaten wieder einmal in das Bewußtsein der Öffentlichkeit gerückt worden, Sie selbst haben einige lobende Worte darüber in einer Rede gesagt. Die meisten Äußerungen in jüngster Zeit waren den Achtundsechzigern gegenüber wohlwollend bis hin zum Verständnis für die ‘wilden Jahre‘ des jetzigen Außenministers. Sie stammten freilich fast durchweg von ehemaligen Mitgliedern und Altersgenossen der Studentenbewegung selbst.

Ich habe Sie als Dozent an der FU Berlin und als Professsor in Münster ganz anderes erlebt. Nachdem ich im Anfang der sechziger Jahre noch durchaus auf Seiten der Reformer stand, auch die Tötung Benno Ohnesorgs als eine schreckliche Verirrung der staatlichen Gewalt betrachtete, an der allerersten öffentlichen Reaktion darauf im Henry-Ford-Bau beteiligt war und z.B. noch geraume Zeit später dem Wunsch des damaligen Rechtsanwalts Otto Schily gefolgt bin, Gutachten zugunsten der Verteidigung in verschiedenen Rechtssachen, die mit literarischen Texten der Studentenbewegung zusammenhingen, zu verfassen, wurde mir in zunehmendem Maße klar, daß es sich bei den von Demokratisierung der Hochschule und der Gesellschaft redenden Personen zum größten Teil um solche handelte, die einzig auf Erringung von Machtpositionen mit totalitären und in immer erheblicherem Maße mit barbarischen Mitteln tendierten. Ich war selbst immer wieder bösartigen Attacken ausgesetzt, eine ganze Reihe meiner Kollegen war es. Nur jene, die sich vor klaren Positionen drückten, kamen ungeschoren davon. Unentschieden und schwach verhielten sich angesichts zahlreicher Rechtsbrüche durchweg die Hochschulleitungen, aber unentschieden und schwach verhielten sich auch die staatlichen Stellen, nicht zuletzt Ihr Ministerium. Sie persönlich antworteten mir zwar auf eine Eingabe einmal, daß sie in den dargestellten Konflikten hinter mir ständen, aber in Wahrheit blieben wir in der Auseinandersetzung mit den neuen Totalitären allein, und wir hatten den Eindruck, daß das dem Staat auch ganz recht war, konnte er sich so doch von der unliebsamen Problematik fernhalten. Ich mußte also (mit vielen anderen), und zwar schon gleich zu Anfang meines Ordinariates, einen großen Teil meiner Kräfte und Energien auf die Abwehr von Aggressionen verwenden, für die ich ja eigentlich den Beruf eines Professors nicht ergriffen hatte. Es ist klar, daß über viele Jahre hin, nämlich fast das ganze Jahrzehnt zwischen 1968 und 1978 hindurch, Lehre und Forschung unter erheblicher Erschwerung vonstatten gingen, daß es für mich angesichts der Lage an anderen Universitäten so gut wie unmöglich war, einen Lehrstuhl an einem anderen Ort anzustreben, meine wissenschaftliche Karriere also in starkem Maße von der gekennzeichneten Situation beeinträchtigt wurde, daß das Land Nordrhein-Westfalen wie etliche andere Bundesländer nicht in der Lage war oder sich nicht in die Lage versetzte, eine rechtlich zulängliche Situation an seinen Landesuniversitäten herzustellen, worunter das wissenschaftliche Niveau in beträchtlichem Maße gelitten hat und bis heute leidet.

Zu eben dieser Zeit gründete das Land aber eine Vielzahl neuer Universitäten, die für die alten sehr rasch rigide Kürzungen mit sich brachten und die zu dem Elend hinzukamen, das die Studentenbewegung unter wohlwollender Duldung der Politik über die Universitäten gebracht hatte. Schließlich stellte sich heraus, daß die zahlreichen Neugründungen nur dazu führten, daß keine der Hochschulen des Landes mehr auch nur einigermaßen zureichend ausgestattet wurde,so daß z.B. der Baubestand zu einem erheblichen Teil (ich denke auch an mein Institut) inzwischen in einem erbärmlichen Zustand ist. Mir ist in diesen Jahren, wie ich gern einräume, einmal von Ihnen geholfen worden, allerdings auf einer fast privaten Ebene. Aber der Politiker Rau nahm doch in meinen Augen mehr und mehr die Züge derer an, von denen er sich als ‚Schüler‘ Heinemanns und aus eigener Einsicht unterschieden hatte und doch wohl auch unterscheiden wollte. Sie wurden nun in den Umfragen einer der beliebtesten Politiker der ganzen Republik, eine Verführung besonderer Art, die andererseits weder im Fall der Bundeskanzler- noch der ersten Bundespräsidentenkandidatur honoriert wurde, und Sie reagierten darauf gewissermaßen mit Ihrem Postulat zu versöhnen und nicht zu spalten, einem eher idealistischen als von Einsicht in die deutschen Dinge zeugenden.

Ihre zweite Bewerbung wurde dann allerdings von einem sehr verbreiteten öffentlichen Unverständnis begleitet, ich persönlich hatte dabei einen eigentümlichen Eindruck. Als mit Ihnen Gleichaltriger konstatierte ich zunächst, daß das von Ihnen so lange regierte Land es ablehnte, dem alten Usus zu folgen, die (früheren) Ordinarien bis zum 68.Lebensjahr im aktiven Dienst zu behalten, Sie aber kein Problem darin sahen, noch Jahre nach dem Pensionierungs- und Emeritierungsalter von 65 eine fünfjährige Amtsperiode anzustreben. Hinzu kam die Frage, die sich aus der eigenen Erfahrung ergab, dank der Politik nicht mehr genug Kraft zu besitzen, bis zum 68. Lebensjahr weiterzumachen, wie es nämlich möglich sei, daß der Ministerpräsident des bevölkerungsstärksten Bundeslandes es leisten könne, nach langen Dienstjahren diese anspruchsvolle Tätigkeit zu übernehmen, ja sich um sie dringlich zu bewerben.

Das erschien ja nur gerechtfertigt, wenn Sie sich in besonderer Weise begabt sahen, das neue Amt so auszufüllen, wie es ein anderer nicht gekonnt hätte.

So haben Sie vor kurzem in Ihrer zweiten Berliner Rede zur Genforschung als Beispiel für die Herausforderungen durch wissenschaftliche Forschung überhaupt Stellung genommen. Das war eine durchaus mutige Rede, die Ihren persönlichen Stil wieder erkennbar machte und die auch, zumindest vorsichtig, gegen durchaus ‘regierende‘ Ansichten sich wendet. Aber Ihre Vorsicht schlägt dann eben doch in Unentschiedenheit um, wenn Sie glauben, das Dilemma ‘keinen Zugriff auf Embryonen, aber Straffreiheit für Fruchtabtreibung (die längst natürlich als deren Legitimation gilt)‘ dadurch überwinden oder doch umgehen zu können, daß Sie beim Schangerschaftsabbruch von „einem ganz anderen Sachverhalt“ als bei der Forschung an Embryonen sprechen. Abgesehen davon, daß er dies nicht ist, denn dem Konflikt während der Schwangerschaft ist doch der Konflikt zwischen heilen wollen und nicht heilen dürfen zu vergleichen, müßte auch hier Ihr eindeutiges Postulat gelten, es dürfe, da es um die Menschenwürde gehe, keine Abweichungen von einer grundlegenden ethischen Norm geben. (Im übrigen wissen Sie doch sicher, weiteres Dilemma, daß z.B. die Massenmedien, vor allem das Fernsehen, die Menschenwürde täglich, ja stündlich verletzen.) Eine ähnliche Unentschiedenheit finde ich in der zunächst mutigen kritischen Apostrophierung der neuen niederländischen Euthanasie-Gesetzgebung, von deren möglichen und schon tatsächlichen Konsequenzen Sie sprechen, um dann aber etliche Zeilen später die offenkundige Problematik unter das harmonisierende Dictum von der Diskussion (in den Niederlanden und Großbritannien) zu stellen. Wie ernst Repräsentanten des Staates übrigens Ihre und andere kritische Bemerkungen zur Genforschung nehmen, machte vor kurzem Ihr Amtsnachfolger in NRW deutlich, als er alle Einwände vom Tisch wischte und dies mit der schrecklich deplacierten Bemerkung tat, daß „der Spaß“ nun aufzuhören habe.

Neben diesen Fragen bleiben sehr viele, die das Staatsoberhaupt nicht nur beschäftigen sollten, was sicher der Fall ist, sondern auch dessen Stellungnahme forderten. Ich habe in den mir gesetzten Grenzen versucht, zu solchen Fragen mich in meinem Deutschland-Buch zu äußern,muß aber die Erfahrung machen, daß Sie derartiges nicht einmal zur Kenntnis nehmen wollen. Wie erfreut wäre ich, wenn Sie selbst sich dazu vernehmen ließen. Denn es ist ja eine Überfülle und ein Übermaß von Fragen, die diese Republik beschäftigen müßten, von denen aber dank der Funktionäre der Spaßgesellschaft ständig abgelenkt wird, so daß offenbar der vage Gesamteindruck besteht, täglich werde zwar irgendetwas Beunruhigendes gemeldet, aber im Grunde gehe alles weiter seinen im ganzen richtigen Gang.

In Wahrheit tut es das doch längst nicht mehr, und jedem Aufmerksamen teilt sich immer aufs neue der Eindruck mit, daß die Verantwortlichen nicht mehr fähig sind, diesen richtigen Gang auch nur einigermaßen zu garantieren, sie sich vielmehr ständig mit Korrekturen beschäftigen, die freilich zumeist auch nicht gelingen wollen. In Ihrer unmittelbaren Nähe, Herr Bundespräsident, amtieren ein Parlament und eine Regierung, die sich in der Mehrheit berühmen, eine Steuerreform und eine Rentenreform zustande gebracht zu haben, von der die meisten Sachverständigen sagen, sie seien eben nicht gelungen. Eine durchgreifende Gesundheitsreform ist ihnen bis heute nicht geglückt. In die BSE-und MKS-Krise sind sie hilflos hineingestolpert. Die Dienstrechtsreform für die Hochschulen ist ganz und gar umstritten. Den Euro haben die Verantwortlichen den Bürgern (sie sagen übrigens immer „den Menschen“) bis zur Stunde nicht vermitteln können. Die Arbeitslosigkeit ist nicht nennenswert vermindert worden, und es ist nicht einmal klar, wie die von ihr Betroffenen sich strukturieren. Die Bundeswehr gilt als völlig unzulänglich ausgestattet. Die Regierung macht immer neue gravierende Fehler in der Innen-und Außenpolitik: eben noch verschwanden vertrauliche Protokolle, die unsere internationale Glaubwürdigkeit betreffen; eben noch wiederholte der Bundeskanzler Fehler gegenüber einem kleinen Nachbarland, fand aber unbeträchtlich, daß der Regierungschef eines großen Nachbarlandes nicht nur über größte Teile der Medien seines Landes verfügt und ein Krimineller wie ein früherer sozialistischer Ministerpräsident des Landes nur darum nicht ist, weil er in den Genuß von Gnadenerlassen kam und weitere Strafen bisher nicht rechtskräftig sind, und daß er sich auch in seiner eigenen Programmatik und der seiner Koalitionspartner als extrem rechts erweist. Auch sagt ebendieser Bundeskanzler über die frühere linksextreme Tätigkeit seines Außenministers nur, daß sie keine Rolle mehr spiele, und darüber, daß dieser Außenminister seiner Herkunft nach ein Berufsloser ohne jede Ausbildung außer der Diplomierung mit einem Taxischein ist, sagt er gar nichts, ein Umstand immerhin, der in der älteren Hitler-Literatur häufig als qualifizierend hervorgehoben wurde.

Die größte Oppositionspartei wird immer aufs neue als in ältere und frische Skandale verwickelt dargestellt und führt sich im Augenblick in der Hauptstadt, in der Sie residieren, gemeinsam mit der SPD als gänzlich unfähig vor, die Mißwirtschaft einer großen Bank im Mehrheitsbesitz des Landes frühzeitig durchschaut und abgestellt zu haben. Sie verurteilt Sie und Ihre Mitbürger dazu, für die ‘Leistungen‘ von dummen Kerlen aufkommen zu müssen. Und wieviele Bundesländer gibt es, in denen nicht mindestens ein größerer Skandal, den die Regierenden zu verantworten haben, anhängig ist?

Aber ist es in fast allen Bereichen der Gesellschaft anders als in der Politik? Kann man sich des Eindrucks einer schleichenden, aber nachhaltigen Erosion dieser Gesellschaft erwehren, die keine Verbindlichkeiten mehr kennt außer den finanziellen, die sich für nichts mehr interessiert als für Lohn und Erträge und die damit erreichbaren Konsumgüter? Die finanziellen Werte als die einzigen werden dieses Volk noch so lange zusammenhalten, als der private Wohlstand gesichert ist. Denn nicht einmal die Sprache ist für die Deutschen ein konstitutiver Wert, die doch eben dies so lange vermöge des Mangels an politischer Übereinstimmung war. Versöhnen statt spalten? Die Deutschen könnten nicht einmal mehr die Worte dafür finden.

Und längst ist die Erosion in den Alltäglichkeiten bemerkbar. Funktioniert noch etwas in diesem angeblich so perfekten Lande? Die Geräte nicht und der Service nicht, nicht der Auto-, nicht der Bahn-, nicht der Flugverkehr. Sind die Manager der Wirtschaft noch ihren Aufgaben gewachsen, die Gewerkschafts-, die Kirchenfunktionäre, die sogenannten Künstler, die Sportler und ihre Repräsentanten?

Wie steht es mit der Justiz, den Schulen, den Universitäten, den Theatern, vor allem mit den Massenmedien?

Wie steht es mit den Städten, die im Osten immer noch den Verfall aus 40 Jahren vorzeigen (trotz erheblicher Bemühungen), während die des Westens durch eine auch schon seit Jahrzehnten fortschreitende Verschlampung von den Schmierereien, die z.B. in Berlin die ganze Stadt erfaßt haben, bis zur Verschmutzung gekennzeichnet sind,für die deren Bürger sich nicht einen Deut mehr interessieren.

Wie steht es mit der ständigen Verschwendung öffentlicher Gelder, der zunehmenden Korruption in der öffentlichen Verwaltung, dem politischen Filz, dem Börsenbetrug, der massiven Zunahme der Jugendkriminalität, der Erziehungsunfähigkeit eines großen Teils der Eltern, der zivilistionszerstörenden Sexualisierung des Lebens, der ständigen Beschwindlung durch Fernsehen und Zeitungen?

Wie steht es mit der Barbarisierung des täglichen Umgangs in Worten und Verhaltensweisen?

Um der political correctness willen wird zwar auf die bösen Übergriffe auf erkennbare Ausländer öffentlich heftig reagiert, aber da man sich nicht klar machen will, daß dies eben kein isoliertes Phänomen ist, bleibt die Reaktion nur ein Korrektheitsritual.

Daß eine ganze Volkswirtschaft nicht einmal merkt, wie sehr sie sich jenseits ihrer notwendigen Pflichten durch ihren Stumpfsinn gegenüber den früheren Fremdarbeitern schadet, bezeugt den Bewußtseinsmangel ganzer Schichten der Gesellschaft.

Sagen Sie zu dem Zustand dieses Landes und dieser Gesellschaft etwas Grundsätzliches, das bspw. über die Mahnung zum „Ruck“ Ihres Vorgängers hinausreichte? Fragen Sie bspw. einmal öffentlich , wie ich es in meinem Buch getan habe, ob die Deutschen sich wirklich mit der Zeit vor 1945 auseinandergesetzt haben, oder ob es ihnen nicht immer nur um Verdrängung mittels wirtschaftlicher Leistung gegangen ist und ob diese Verdrängung nun an ihr Ende kommt?

Sie besuchen andere Länder, zuletzt, meine ich, Australien und Neuseeland, und sprechen davon, so hörte ich, daß es sich dabei wegen der Globalisierung um eine Art von Nachbarbesuch handle. In Wahrheit sind es doch lediglich protokollgerechte offizielle Besuche, wie es die von Staatsoberhäuptern immer waren. Aber nun gibt es bei nahen Nachbarn wirklich entsetzliche Probleme: etwa in Israel und Palästina, etwa in Algerien, und bei einem ganz nahen Nachbarn, nämlich Belgien, das sich eben noch stark machte, Österreich mores zu lehren, wird man nicht fertig mit dem schändlichen Verbrechen an Kindern, so daß der Eindruck entstehen muß, große Teile der Eliten seien hier involviert.

Auch dazu hört man vom Bundespräsidenten nichts, der sich wahrscheinlich auf die Notwendigkeiten diplomatischen Verhaltens berufen wird.

Diese Notwendigkeiten sind natürlich in Wahrheit nur noch Floskeln des 19.Jahrhunderts.

Doch selbst wenn sie mehr wären, sie bestünden für die deutschen Dinge natürlich nicht. Aber auch für die gibt es aus dem Schloß Bellevue weitgehend nur Schweigen. Ich weiß, da meldet sich der Hinweis auf vertrauliche Gespräche, die nicht an die Öffentlichkeit kommen sollen. Aber sie haben natürlich nur Sinn, wenn sie eine Wirkung in der Öffentlichkeit hätten. Doch die äußert per Umfrage, daß 77 % der Befragten nichts mit Johannes Rau, dem beliebtesten Politiker Deutschlands über viele Jahre, verbänden. Wenn Umfragen überhaupt etwas bedeuten, dann ist dies ein erstaunliches Ergebnis.

Herr Bundespräsident, bitte betrachten Sie diesen langen Brief, der dennoch ein ganzes Buch nicht ersetzen kann, als besorgte Anfrage an den Repräsentanten Deutschlands, wie er sich zu den deutschen Dingen stelle. Vielleicht hat ihn mit 70 Jahren Resignation erfaßt, was ich sehr gut nachempfinden könnte. Aber ist es dann sinnvoll, auch dieses Amt noch ausfüllen zu wollen, das doch einzig davon lebt, daß eine deutliche Stimme das Notwendige sagt?

Mit freundlichen Empfehlungen,

(Helmut Arntzen)


 

BUNDESPRÄSIDIALAMT 

BERLIN, 6. August 2001
Spreeweg 1
Geschäftszeichen: 15-000 13-2-3753/00
(bei Zuschriften bitte angeben)



Herrn
Universitätsprofessor
Dr. Phil. Helmut Arntzen, P.E.N.
Am Schlosspark 21

48308 Senden



Sehr geehrter Herr Professor Arntzen,

der Bundespräsident hat mich gebeten, Ihren Brief vom 27. Juli 2001 zu beantworten und die offenen Fragen zu klären.

Ihr Brief vom 25. Oktober 2000 ist leider aus bereits damals nicht nachvollziehbaren Gründen erst zwei Monate später beim Bundespräsidenten eingegangen. Er hat ihm am 21. Dezember 2000 vorgelegen. In meiner Antwort an Sie habe ich leider versäumt, diesen Sachverhalt zu erwähnen. Daher mussten Sie den Eindruck gewinnen, dass Ihnen erst ungebührlich spät geantwortet worden sei. Dafür möchte ich mich bei Ihnen entschuldigen.
Ihre Versicherung, Sie hätten weder “erwartet noch gar erbeten“, dass der Bundespräsident Ihre Werke fördere, vermag ich, offen gestanden, nicht nachzuvollziehen. Sie haben in Ihrem Brief vom 25. Oktober Ihre Bücher ausdrücklich als “winzigen Buch- und Bauchladen“ bezeichnet und darum gebeten, dass “der Leser“, wenn er etwas mit den Büchern anfangen könne, Ihnen 30,- DM auf Ihr Postbankkonto in Essen überweisen möge. Dies erschien mir als eine Bitte um eine Förderung Ihrer Publikationen, zumal Sie am Beginn Ihres Briefes die Verlagspolitik großer Verlage beklagt hatten.

Ich sehe mich in meiner damaligen Interpretation Ihres Anliegens auch dadurch bestärkt, dass Sie in Ihrem Brief vom 27. Juli 2001 schreiben, die Antwort des Bundesinnenministers auf Ihren Brief habe in Ihnen den Wunsch geweckt, “mit dieser Antwort hausieren zu gehen“. Mir ist auch kein historischer Roman bekannt, dessen Autor auf dem Prospekt zu seinem Buch mit Worten des Bundespräsidenten wirbt.

Was die anderen in Ihrem Brief angesprochenen Sachverhalte angeht, möchte ich Ihnen sagen, dass der Bundespräsident manche gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen in der Bundesrepublik ebenfalls mit Sorge verfolgt. Ihre Einschätzung seiner Amtsführung hat er mit Interesse zur Kenntnis genommen. Sie werden indes gewiss Verständnis dafür haben, dass er sie nicht teilt.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Elisabeth Domansky





An das
Bundespräsidialamt
Frau Dr. E Domansky

B e r l i n

16. August 2001

 

FAX 030/2000 1999




Sehr geehrte Frau Dr. Domansky,

in Ihrem Schreiben vom 6. August 2001 heißt es u.a.:

„Ich sehe mich in meiner damaligen Interpretation Ihres Anliegens auch dadurch bestärkt, daß Sie in Ihrem Brief vom 27. Juli 2001 schreiben, die Antwort des Bundesinnenministers auf Ihren Brief habe in Ihnen den Wunsch geweckt,‘mit dieser Antwort hausieren zu gehen‘“.

In meinem Brief vom 27. Juli 2001 steht:

„Dies [das vermutete Interesse] galt für Sie ebenso wie für den gegenwärtigen Bundesinnenminister, der mir in seiner Antwort versprach, beide Bücher zu lesen, was nicht von ferne in mir den Wunsch weckte, mit dieser Antwort hausieren zu gehen.“

Sie fälschen also den klaren Wortlaut meines Satzes in das genaue Gegenteil um.

Im übrigen war mein Brief an den Bundespräsidenten und nicht an Sie gerichtet.

Mit freundlichen Grüßen,

(Helmut Arntzen)


 

An den
Herrn Bundespräsidenten
Dr.h.c.Johannes Rau
Spreewaldweg 1
Schloß Bellevue

10557 B e r l i n

18. September 2001

 

persönlich




Sehr geehrter Herr Bundespräsident,

mit Erstaunen nehme ich zur Kenntnis, daß mein an Sie persönlich gerichteter Brief vom 27. Juli 2001, dem als ein umfangreicher und doch wohl auch ernsthafter der Respekt nicht versagt werden sollte, Sie lediglich zu der achselzuckenden Bemerkung veranlaßt, die Sie auch noch ‘durch die Adjutantur‘ formulieren lassen, Sie teilten meine Einschätzung Ihrer Amtsführung nicht. Also auch nicht die sehr freundlichen Einschätzungen meines Briefes.

Was soll angesichts solcher Dialogverweigerung die Rede von dem auf den Bürger zugehenden Politiker? Kann sie anderes bedeuten, denn daß als Paradigma dieses Zugehens jenes unsägliche Händeschütteln von dem Schüttler unbekannten Menschen verstanden wird? Wie soll man begreifen, daß Sie undementiert lassen, Sie schrieben gelegentlich an Pferde, aber daß Sie über kritische menschliche Rede hinweggehen, es sei denn, sie sei gleichzeitig journalistische?

Wenn vor kurzem von der krassen Lüge eines ehemaligen Landesfinanzministers berichtet wurde und gleich darauf ein amtierendes Mitglied der Bundesregierung sich vollkommen lächerlich machte, ja mehr, wenn gesagt wurde, daß er in der Bundeswehr verachtet werde, und wenn Ihr Amtsnachfolger in Nordrhein-Westfalen erklärt, jener Bundesminister habe gegenwärtig „eine Macke“, sei also nicht voll zurechnungsfähig, und wenn derlei nicht Einzelfälle, sondern Beispiele sind, dann ist es unbegreiflich, daß derjenige, der doch einzustehen hätte für die relative Integrität derer, die für die Republik handeln, auf eine kritische Einzelstimme so antwortet, wie es hier geschehen ist, nämlich gar nicht.

Oder ist es gar nicht unbegreiflich, sondern ein kleines Signal für den Zustand des Ganzen, den Politiker freilich nicht mehr zu verstehen oder gar mit Kompetenz zu ändern fähig sind, aber der sie natürlich auf drastische Art zuerst erreichen wird?

Dieser Satz war gerade geschrieben, als er auf die schrecklichste Art bestätigt wurde. Was taten Politiker? Sie beriefen Kundgebungen ein, auf denen 200 000 Verängstigte kalmiert werden, damit sie morgen wieder tüchtige Mitglieder der Spaßgesellschaft sind. Kein Wort über die Ursachen der Katastrophe. Kein Wort darüber, wie weit der Zustand unserer Gesellschaft die Katastrophe ‘anlockt‘. Kein Wort über die Beziehung zwischen Fanatismus und Schlamperei von Sicherheitsbehörden, aber auch keines über die Beziehung von Fanatismus und glühweintrinkenden Weißfahnenschwenkern. „Kein Wort, das traf.“

Ich darf um Nachsicht dafür bitten, daß ich – auch in der Erinnerung an Gustav Heinemann – von Ihnen noch ein bißchen erwartet hatte.-

Frau Dr. Domansky, die Sie mit der Beantwortung eines an Sie persönlich gerichteten Briefes beauftragt haben, sieht die Anheimstellung eines Unkostenbeitrags von 30,- DM für zwei Bücher als „Förderung“ an. Das ist ein bißchen ridicule. Förderung wäre z.B. eine den Autor lobende Äußerung, wie Sie sie anscheinend für den journalistischen Verfasser eines historischen Romans abgegeben haben, der damit hausieren geht.

Frau Dr. Domansky entschuldigt sich dafür, daß sie einen Sachverhalt seinerzeit nicht erwähnt habe. Das ist löblich. Schlimm aber ist und ein Skandal, daß Frau Dr. Domansky sich bis heute nicht für die Fälschung eines Zitats aus meinem Brief an Sie vom 27.7. entschuldigt hat, obwohl ich sie auf diese Fälschung bereits am 16.8. in einem Fax angesprochen habe. Ganz gleichgültig, ob diese Fälschung bewußt oder fahrlässig zustande kam, es ist unerträglich, daß Frau Dr. Domansky bis heute nicht reagiert hat, so daß die Vermutung aufkommen muß, eine Arbeitsweise wie diese sei im Bundespräsidialamt üblich. Ich muß darauf bestehen, daß Frau Dr. Domansky sich unverzüglich bei mir entschuldigt.-

Sie werden verstehen, daß ich angesichts des Verlaufs dieser Korrespondenz mir vorbehalte, sie ausgewählten Personen in Abschrift zur Verfügung zu stellen.

Mit freundlichen Grüßen,

(Prof. Dr. Helmut Arntzen)




BUNDESPRÄSIDIALAMT 

BERLIN,  15.Oktober 2001
Spreeweg 1
Geschäftszeichen: 15-000 13-2-3753/00
(bei Zuschriften bitte angeben)





Herrn
Universitätsprofessor
Dr. Phil. Helmut Arntzen, P.E.N.
Am Schlosspark 21

48308 Senden



Sehr geehrter Herr Professor Arntzen,

Angesichts der Fülle von Zuschriften, die der Bundespräsident täglich erhält, kann er nicht jede selber beantworten. Darum bittet er hin und wieder seine Mitarbeiter zu schreiben. Dafür werden Sie gewiss Verständnis haben.

Aus dem Satz, den Sie in Ihrem Brief vom 16. August zitieren, habe ich in der Tat die Formulierung “nicht von ferne“ in meiner Antwort weggelassen. Ich habe das deshalb getan, weil ich diese Formulierung als “naheliegend“ interpretiert habe. Ich habe Ihren Wortlaut also weder absichtlich noch unabsichtlich “gefälscht“, wie Sie schreiben, sondern fehlinterpretiert. Die Gewissheit, mit der Sie davon ausgehen, dass es sich nur um eine Fälschung handeln könne, finde ich erstaunlich.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Elisabeth Domansky


 

An den
Herrn Bundespräsidenten
Dr.h.c. Johannes Rau
Spreewaldweg 1
Schloß Bellevue

10557 B e r l i n

25. Oktober 2001

 

persönlich



Ihr Brief vom 15.10.2001

Sehr geehrter Herr Bundespräsident,

leider bin ich mit meinen persönlichen Briefen, wie das so „hin und wieder“ zu gehen pflegt, einer Mitarbeiterin anheimgefallen, die Sie gebeten haben „zu schreiben“, und zwar, im Gegensatz zu Ihrer früheren Gewohnheit, immer.

Was Ihre Mitarbeiterin Frau Dr. Domansky dann jeweils schreibt, hat mit der Sache so gut wie nichts, mit ihr selbst alles zu tun.

„Mit der Sache“: Sie, Herr Bundespräsident, verweigern den Dialog, den Sie (und Ihre Politikerkollegen) immer fordern, und das in meinem Fall seit der Übersendung meiner Bücher, die nicht nach Förderung durch Sie, sondern allenfalls nach Lektüre verlangten.

„Mit ihr“: Frau Dr. Domansky brauchte zwei Monate dazu, um sich zu einer ‚Fehlinterpretation‘ zu bekennen.

Sie ist erstaunt darüber, daß ich eine Fälschung eine Fälschung nenne. Nun, sie interpretiert nicht, auch nicht „fehl“, sondern sie ändert willkürlich meinen Text, also fälscht sie ihn.

Sie will mittels ihrer behaupteten Unkenntnis der deutschen Sprache glauben machen, man könne „nicht von ferne“ mit „naheliegend“ übersetzen, also der Teilsatz „...was nicht von ferne in mir den Wunsch weckte, mit dieser Antwort hausieren zu gehen“ sei interpretierbar als ‘was in mir den naheliegenden Wunsch weckte, mit dieser Antwort hausieren zu gehen‘.

Sie ist also entweder nicht von ferne fähig, sich in der deutschen Sprache zu bewegen, oder sie unternimmt den ihr naheliegenden, aber untauglichen Versuch, mir zuzumuten, Aberwitziges zu akzeptieren.

Beides sind natürlich hervorragende Vorausetzungen, um im Bundespräsidialamt zu arbeiten.
Schließlich ist sie offenbar nicht fähig, die pejorative Konnotation von „hausieren gehen“ zu erkennen, so daß sie anscheinend vermutet, ich brüstete mich auch noch, mit einer Anerkennung „hausieren zu gehen“, da doch diese Formulierung allein genügen müßte, die Absurdität einer solchen Vorstellung, wie sie die Rücksendung meiner Bücher ja implizit unterstellte, zu offenbaren.

Bei so beschaffenen Umständen ist es natürlich völlig ungesichert, daß Sie, Herr Bundespräsident, überhaupt von dem Vorgang Kenntnis bekommen haben. Hätten Sie die, wäre es doch wohl ganz undenkbar, daß Sie sich mit dessen ‚Erledigung‘ in der vorliegenden Form begnügen. Denn es ist die ‚Erledigung‘ einer Ertappten (gen. obiect. und gen.subiect.!), die durch Chuzpe glimpflich davonzukommen sucht und darum alles nur immer schlimmer macht.

Mit freundlichen Grüßen,

(Prof. Dr. Helmut Arntzen)


 

Am 20. Dezember 2001 zu spätnachmittäglicher Stunde rief mich ein Herr vom Bundespräsidialamt an, der sich als Leiter der Abteilung für Inneres und andere Ressorts vorstellte („wir sind ein kleines Amt“). Er habe sich die Angelegenheit zwischen Frau Dr. D. und mir noch einmal angesehen. Er kommt zurück auf die Zusendung der Bücher, unterstellt, ich habe sie dem Bundespräsidenten verkaufen und mit der Abnahme durch ihn Werbung betreiben wollen. Ich weise das unter Hinweis auf das in meinem ersten Brief Mitgeteilte entschieden zurück und stelle auf den Kern der Sache ab, insofern sie Frau Dr. D. betrifft: nämlich auf die Verkehrung des Sinns von „nicht von ferne“. Das sei, wiederholt er die Meinung von Frau D., eine Fehlinterpretation. Es bleibe eine Fälschung, sage ich und beende das Gespräch.

So verlief, so endete ein Dialog mit einem beliebten Politiker.


 

(nach oben)

Dialog mit einem Fraktionsvorsitzenden

 

An
Herrn Dr. Peter Struck
SPD-Fraktionsvorsitzender
im Deutschen Bundestag

 

29.11.99 per e-mail


Sehr geehrter Herr Abgeordneter,

Sie sprechen den Präsidenten der Schweizerischen Eidgenossenschaft als "Kollegen" an. Sind Sie gleichzeitig auch Mitglied des Bundesrates der Schweiz?

Sie informieren den "Kollegen" Ogi dann darüber, wie die Qualität der Rede eines Parlamentskollegen zu beurteilen sei.

Das ist eine Art des Umgangs, die dem Vorsitzenden eines Kleingärtnervereins sicher passieren kann. Aber dem Vorsitzenden der größten Fraktion des Bundestages? Globalisierte Kumpelei anstelle respektvoller Behandlung auswärtiger Gäste?

Mit freundlichen Grüßen: Prof. Dr. Helmut Arntzen




 

8.1.01 per e-mail




Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Arntzen,

bitte entschuldigen Sie die späte Antwort auf Ihre Email vom 29.November 2000.

Der SPD-Fraktionsvorsitzende Dr. Peter Struck hat mich gebeten, Ihnen zu antworten.

Zu Ihren unbegründeten und unverständlichen Vorwürfen:

Der bisherige Bundespräsident Adolf Ogi ist seit vielen Jahren mit Herrn Dr. Struck bekannt und befreundet. Es ist im übrigen üblich, sich – wie in anderen Berufszweigen auch - unter Politikerinnen und Politikern als Kollegen zu verstehen und zu bezeichnen. Ein amerikanischer Arzt beispielsweise ist auch Kollege eines deutschen Arztes, wird aber kaum der deutschen Ärztekammer angehören oder in Deutschland praktizieren müssen, um sich als Kollege zu verstehen. Dies wird wohl unter Professoren ebenso üblich sein...

Mit freundlichen Grüßen

Thorsten Recker

Referent des SPD-Fraktionsvorsitzenden Dr. Peter Struck, MdB


 

 

15.1.01 per e-mail




Sehr geehrter Herr Recker,

aha, so ist das also mit "Kollegen". Nur ist es vollkommen daneben. Herrn Dr. Struck, dem ziemlich vieles an Formfehlern zuzutrauen ist, würde den Bundespräsidenten in öffentlicher Rede nicht als "Kollegen" ansprechen, auch Herrn Thierse im Präsidium titulierte er bei Gelegenheit einer Bundestagsrede natürlich (hoffentlich) nicht als "Kollegen".

Daß das erst recht bei der Anwesenheit eines ausländischen Staatsoberhaupts zu gelten hat, merken Sie oder Ihr Chef oder beide schon gar nicht mehr. Und daß das schlimmer ist als der faux pas selbst, muß Ihnen ausdrücklich gesagt werden,eben weil Sie keinen Sinn für Formen haben, um die sich Europa 450 Jahre lang bemüht hat und die keinesfalls bloße Formen sind.

Mit freundlichen Grüßen:

Prof. Dr. Helmut Arntzen.


 

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Dialog mit einem Bundestagspräsidenten (Variation)

 

 

10.11.01 per e-mail




Sehr geehrter Herr Präsident,

bei der Lektüre der Rede des Bundesaußenministers Fischer vom 8.11.01 - einer übrigens ausgezeichneten Rede, exakter als die des Bundeskanzlers - fällt mir auf, daß Sie ihn an einer Stelle, wie durchaus üblich, den Redner unterbrechen, und zwar mit der Anrede: "Kollege Fischer". Ich bin erstaunt, daß Sie weder das Deplacierte einer solchen Anrede in solchem Zusammenhang merken noch sie offenbar für irgend relevant halten. Niemand in den Institutionen der westlichen Welt käme wohl auf eine solche Anrede. Aber in der Bundesrepublik Deutschland redet der Fraktionsvorsitzende der SPD bereits ein fremdes Staatsoberhaupt in öffentlicher Sitzung als "Kollege" an und begründet das damit, daß dies die gängige Apostrophierung in der Politik sei. Um so schlimmer, kann man da nur sagen. Sie repräsentieren, dem Bundestag vorsitzend, den Souverän. Sie müssen klarmachen, daß Sie bei der Anrede eines Mitglieds der Bundesregierung den Unterschied von Legislative und Exekutive begreifen. Es geht also bei der Beachtung von Formen sowohl um die (oft bemühte) "Würde des Hauses" wie auch um die Darstellung der konstitutiven Differenzen. Statt dessen wird alles mit allem vermengt und eine Bundestagssitzung mit einem Gewerkschaftskongreß verwechselt, wo solche Anrede immerhin ein Reflex von Solidarität wäre, während sie hier nur jene fatale Kameraderie ausdrückt, die in den Couloirs gängig sein mag, aber vor dem Plenum halt machen sollte.

Mit freundlichen Grüßen: Prof. Dr. Helmut Arntzen.


 

 

1011 Berlin 19.02.02

 

(Eingang: 24.01.02)



Herrn
Prof. Dr. Helmut Arntzen


Sehr geehrter Herr Professor Dr. Arntzen,

der Präsident des Deutschen Bundestages, Wolfgang Thierse, hat mich gebeten, Ihnen für Ihre E-Mail vom 10. November vorigen Jahres zu danken. Wegen der vielen Briefe an Herrn Thierse ist es mir leider erst heute möglich, Ihnen zu antworten.

Herr Thierse teilt Ihre Meinung, dass insbesondere Politiker im Umgang mit ihrer Sprache sehr sorgfältig sein sollten. Allerdings kann er Ihre Kritik im Zusammenhang mit der Anrede "Kollege" unter Abgeordneten des Deutschen Bundestages nicht nachvollziehen. Der Begriff "Kollege" wurde im 16. Jahrhundert aus dem gleichbedeutenden lateinischen Kollega entlehnt und ist als "Mitabgeordneter" zu übersetzen. Kollega gehört in seinem Wortstamm zu dem lateinischen Lex (Legis) "Gesetz" bzw. zu dem davon abgeleiteten lateinischen Verb legare "jemanden zu etwas abordnen, bestimmen". Im akademischen Bereich genießt das lateinische Kollegium die Bedeutung "gelehrte Zusammenkunft, privates Seminar, Vorlesungen". In Anerkennung der linguistischen Deutung, die sich auch in der alltäglichen Anwendung dieses Begriffes wiederfindet, kann Herr Thierse nicht erkennen, warum die Anrede "Kollege" im Rahmen einer Bundestagssitzung deplaciert sein sollte.

Bundestagspräsident Thierse lässt Sie grüßen.

Mit freundlichen Grüßen

Katja Friedrich
Referentin
Referat Kommunikation (PZ 3)


 

 

06.02.02 per e-mail



Sehr geehrter Herr Präsident,

haben Sie besten Dank für Ihre Antwort vom 24.1.02 (19.2.02). Natürlich ist Ihre Wortgeschichte zu "Kollege" richtig, gibt es zahlreiche Kontexte, in denen dieses Wort seinen Platz hat. Sie treffen z.B. in der Lobby des Bundestages Herrn Fischer und begrüßen ihn als "Kollegen Fischer". Gerade habe ich noch eine Einladung abgesandt, die mit der Anrede "liebe Herren Kollegen" beginnt. Immer sind diese Kontexte von einer gewissen Familiarität bestimmt: die Teilhabe an einer Gruppe ist gemeint und soll ausgedrückt werden. Aber ich versuchte gerade auf das Gegenteil abzuheben. Wenn etwa Herr Dr. Struck meint, seine "Kollegen"-Anrede gegenüber dem früheren schweizerischen Bundespräsidenten erkläre sich aus der Zugehörigkeit beider zur Gruppe der Politiker, so zeigt sich, daß hier eine Differenzierungsnotwendigkeit gar nicht mehr erkannt wird. Nicht seine Freundschaft mit jenem, nicht seine politische Beziehung zu ihm, nicht beider Zugehörigkeit zur Gruppe der Politiker, überhaupt nichts Persönliches und 'Familiäres' stehen in Rede, wenn Herr Struck das Staatsoberhaupt eines anderen Landes vom Rednerpult des Deutschen Bundestages aus begrüßt, sondern die Beziehung von souveränen Staaten, die sich in der Begegnung ihrer Repräsentanten manifestiert, wobei der Repräsentanz des Ganzen durch das Staatsoberhaupt eine besondere, durch Jahrhunderte geprägte Bedeutung zukommt. Den Ausdruck dieser Repräsentanz zugunsten des Ausdrucks der Familiarität, ja der Kumpanei zu vernachlässigen, zeugt nicht nur von schlechtem Stil, ja eigentlich von gar keinem, sondern ebnet alle notwendigen Differenzierungen ein, so daß nur ein Brei des Gleichen bleibt, der die Unterschiede zwischen Privatheit und Öffentlichkeit und innerhalb ihrer unerkennbar macht. Im Falle der Anrede von Abgeordneten als "Kollege" in öffentlicher Sitzung des Bundestags gilt Analoges. Niemandem im englischen Parlament würde es einfallen, einen anderen Abgeordneten anders als mit der Apostrophe des "sehr ehrenwerten Abgeordneten von X" zu bezeichnen, schon gar nicht Mr oder Mrs Speaker. Man weiß nämlich, daß hier durch die Anrede eine ähnliche Differenzierung vorgenommen wird wie durch die Amtstracht eines Richters oder eines Predigers. Der Präsident erteilt nicht einem Gruppenmitglied das Wort (wie etwa ein Vereinsvorsitzender), sondern einem Repräsentanten "des ganzen Volkes", also des Souveräns, und zugleich einem Mitglied der gesetzgebenden Körperschaft.Die hier zu fordernde Differenzierung gilt nun in besonderer Weise dann, wenn ein Mitglied der Regierung (auch wenn es gleichzeitig Mitglied des Hauses ist) aufgerufen wird. Der Unterschied zwischen ihr und dem Parlament darf natürlich überhaupt nicht nivelliert, sondern muß vielmehr deutlich hervorgeboben werden. Nicht um den "Kollegen Fischer" geht es hier auch nur von ferne, sondern um den "Bundesminister des Auswärtigen".Der übrigens hat immerhin davon etwas begriffen, insofern er nicht mehr in der 'Uniform' der Formlosigkeit, also etwa mit Turnschuhen (wie noch als hessischer Minister) erscheint, sondern ständig und nachdrücklich so, wie auch die anderen Außenminister in der Welt ihre 'Erkennbarkeit' sicherstellen.Geht es nur um Formen? In der Tat, aber nicht "nur", sondern als das, was zum notwendigen Ausdruck von Unterschieden unverzichtbar ist und nicht darum aufgegeben werden darf, weil die hemmungslose und uniforme Plebejisierung in vielen Weltgegenden auch bei denen anklopft, die ein Bewußtsein davon haben müßten, daß gerade auch Demokratien auf Differenzierung und deren Ausdruck angewiesen sind, wenn sie weiterbestehen wollen.

Mit freundlichen Grüßen:

Prof. Dr. Helmut Arntzen


 

Dialog mit einer Bundesjustizministerin

 

 

12.Dezember 1999

Prof. Dr.

FAX 0228/58 45 25

Herta Däubler-Gmelin

 

Bundesministerin der Justiz

Frau M.Illner, ZDF

 

FAX 06131/70 21 57

B o n n

 

 

Herrn Bundespräsidenten

 

Dr.h.c. Johannes Rau

 

FAX 030/390 84 111

 

zu Kenntnis




Sehr geehrte Frau Bundesministerin,

in der Sendung „Berlin Mitte“ am 16.12. suchten Sie zweimal die Moderatorin dahin zu beeinflussen, daß sie Fragen um den jetzigen Bundespräsidenten Johannes Rau mit größter Vorsicht behandle, was im Kontext nur bedeuten konnte, darüber gar nicht zu sprechen. Sie taten das, so sagten Sie, damit das Amt nicht beschädigt werde. Nun beschädigt natürlich nicht der Bote einer Nachricht irgendetwas, sondern allenfalls die Nachricht.

Es ging dabei um die Feier zum 65. Geburstag von Johannes Rau. Zu dieser Zeit war er bekanntlich gar nicht Bundespräsident, sondern Ministerpräsident von NRW. Sie beharrten im weiteren auch nicht mehr darauf, über den Casus gar nicht zu sprechen, suchten aber wohl, ihn rasch unsichtbar zu machen, weil ein Staatsanwalt auf die strafrechtliche Irrelevanz des Vorgangs hingewiesen habe, der überdies schon seinerzeit untersucht worden sei.

Wiederum war aber gerade von verschiedenen Seiten in der Diskussion darauf hingewiesen worden, daß Fehlverhalten von Politikern nicht auf Strafrechtstatbestände beschränkt sei, eine Auffassung, der Sie offensichtlich zugestimmt hatten. Dennoch gingen Sie auf den Fall nicht weiter ein, sondern meinten ihn schließlich mit der Bemerkung ad acta legen zu können, die Stadt Wuppertal habe ein öffentliches Fest für J.R. gegeben.

Gesicherte Erkenntnis ist doch wohl, daß zum 65. Geburtstag von Johannes Rau ein Fest gefeiert wurde, zu dem u.a. die Westdeutsche Landesbank einen Betrag von 150.000,--DM beigesteuert hat.

Ist der Geburtstag eines Politikers Anlaß zu einer öffentlichen Feier, die nicht durch ihn selbst, sondern durch politische oder wirtschaftliche Institutionen bezahlt wird? Ich nahm bisher an, der Geburtstag eines politischen Funktionärs sei wie der irgendeines anderen Bürgers eine durchaus private Angelegenheit.

Als ich selbst 65 und zu eben dieser Zeit emeritiert wurde, erhielt ich anläßlich der Emeritierungsfeier einen Beitrag von der Universität in Höhe von 300,--DM. Zum Geburtstag gab es selbstverständlich nichts. Und alles, was über die 300,-- DM hinausging, ein nennenswerter Betrag, mußte natürlich von mir getragen werden.

Können Sie mir sagen, warum das bei einem Ministerpräsidenten anders ist? Warum angesichts dessen, daß z.B. in dem von Ihnen geleiteten Ministerium Beträge über 50,--DM, bei der Ministerin von 300,--DM und mehr angemeldet werden müssen, ein Ministerpräsident es jedoch als selbstverständlich ansieht, Beträge von 150.000 DM und mehr für eine Geburtstagsfeier in Anspruch zu nehmen, und zwar von einer Bank, die in engster Verbindung zum Land steht?

Ist das, wenn es denn eine strafrechtlich irrelevante Angelegenheit ist, auch eine moralisch irrelevante?

Sie kehrten kopfschüttelnde Entrüstung über das ganz und gar problematische und offensichtlich strafrechtlich relevante Verhalten des ehemaligen Bundeskanzlers Kohl hervor. Aber Sie taten alles, um die Erörterung von Geburtstagsdotationen zu verhindern oder zu bagatellisieren. Die Relevanz jenes Vorgangs ist evident. Aber ich hörte gern etwas über die moralische Irrelevanz dieses.

Mit freundlichen Grüßen,

Prof. Dr. Helmut Arntzen.


 

PROF. DR.

JERUSALEMER STRASSE 24-28

HERTA DÄUBLER-GMELINMdB

10117 BERLIN

BUNDESMINISTERIN DER JUSTIZ

TELEFON (030)20 25-90 00

 

TELEFAX (030)20 25-90 43

 

11.JANUAR 2000

 

 




Herrn
Univ.-Prof. Dr. phil. Helmut Arntzen, P.E.N.
Am Schloßpark 21

48308 Senden



Sehr geehrter Herr Arntzen,

Ihr Schreiben vom 12. Dezember 1999 erstaunt mich. Weniger wegen des gelegentlich herablassenden Tones — der scheint ja bei einigen Professoren gegenüber, wie Sie schreiben „politischen Funktionären“ an der Tagesordnung zu sein. Allerdings halte ich ihn für höchst unangebracht.

Erstaunen habe ich, weil mittlerweile in aller Öffentlichkeit mehr als 10 mal deutlich gemacht wurde, dass die Feier in Wuppertal eben nicht mit Ihrer Geburtstagsfeier oder mit einer sonstigen privaten Feier zu vergleichen ist, also weder mit Ihrem 65. noch mit meinem 56. Geburtstag. Deshalb sind auch moralische Vorhaltungen von keiner Seite angebracht.

Der Festakt von Wuppertal wurde für den Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein­Westfalen gegeben, war höchst offiziell und ausschließlich öffentlich — Sie werden sicher verstehen, dass auch „politische Funktionäre“ wert darauf legen, dass das zur Kenntnis genommen wird.

Ihnen wünsche ich alles Gute und verbleibe mit freundlichem Gruß

(Ihre Herta Däubler-Gmelin)


 

Frau
Prof. Dr. H.Däubler-Gmelin Bundesministerin der Justiz

B e r l i n

20.Januar 2000

 

FAX 030/2025 9043



Sehr geehrte Frau Bundesministerin,

in meinem FAX vom 13.12.99, auf das Sie am 11.1.2000 geantwortet haben, stellte ich den Verlauf eines Talkrunden-Gesprächs dar, an dem Sie im Fernsehen teilgenommen haben.

Sie gehen freilich auf Ihre bemerkenswerten, von mir benannten Monita in diesem Gespräch gar nicht, sondern zunächst auf den „gelegentlich herablassenden Ton“ ein, den mein Brief enthalte und den Sie „für höchst unangebracht halten“. Dabei fällt neuerlich die Ihnen wohl eigene oberlehrerinnenhafte Allure auf, mit der Sie gerne bei Ihren öffentlichen Auftritten über Sachfragen hinweggehen. Genau um jene ging es ja auch an dem genannten Abend.

Das einzige, was Sie zur Sache ausführen, ist die Wiederholung eines Arguments, dessen Berechtigung ich bezweifelt habe: nämlich, daß ein Festakt aus Anlaß eines Geburtstages eines politischen Funktionärs von Banken dotiert werden dürfe, weil er „höchst offiziell und ausschließlich öffentlich“ sei. Er bleibt dessen ungeachtet natürlich ein privater Vorgang wie der Taufakt eines Politikerzöglings oder die silberne Hochzeit in einer Politikerehe, denn sonst hätte man ja Herrn Glogowskis Hochzeitsfeier nur „höchst offiziell“ nennen müssen und ihn so vor dem Rücktritt bewahren können. Sie insinuieren aber mit hoheitlicher Attitude und mittels einiger Vokabeln, die Deklarierung ändere etwas an der Sache. Sie scheinen den Ministerpräsidenten eines Bundeslandes als eine Art Souverän anzusehen, dem Huldigendes zustehe. In der Republik kann es allenfalls bei öffentlichen Anlässen einen zulässigen und gar kostenträchtigen Festakt geben. So war nicht mein Geburtstag, wohl aber meine Emeritierung z.B. ein ‘öffentlicherer’ Akt als jener dotierte Geburtstag; er wurde aber dennoch von keiner Institution nennenswert gefördert, was meine völlige Zustimmung findet.

Ihr Argument zugunsten des Rauschen Geburtstages bleibt peinlich schwach, weil Sie versuchen, das private Ereignis und den öffentlichen Festakt in eine legitime Verbindung zu bringen und mit dieser mißlingenden Verbindung überdies noch die Dotation einer Bank, die durch die Regierung kontrolliert werden soll, zu rechtfertigen. Daß Sie die Schwäche Ihres Arguments nicht bemerken und sich mit Allure und Attitude begnügen, ist wohl doch mehr das Problem einer politischen Funktionärin. Was zur Kenntnis zu nehmen wäre.

Im übrigen bin ich der Auffassung, daß diese Tage für politische Funktionäre zu ernst sind, als daß sie Zeit mit der Benotung von Stilistica vertrödeln könnten, jenseits der Frage nach der Berechtigung solcher Versuche im konkreten Fall. Vielmehr läge es ihnen ob, mit aller Konzentration und allem Fleiß sich den mores in politicis zu widmen, und zwar, damit nicht fortwährend der Eindruck platter Hypokrisie entsteht, insbesondere vor der eigenen Tür. Denn so sehr die CDU-Affären zum Fatalsten gehören, was diese Republik bisher auszuhalten hatte, fatal wirkt auch eine Bundesjustizministerin, die vor der Diskussion über den Filz im eigenen Laden warnend und Benotungen austeilend von Talkrunde zu Talkrunde eilt, um einzig den politischen Gegner mores zu lehren.

Mit freundlichem Grüßen,

(Helmut Arntzen)


 

Man sieht, daß die deutsche Demokratie – die beste, die wir je hatten – vorzüglich funktioniert.

Der Bundespräsident läßt auf einen siebenseitigen Brief immerhin mehrere Zeilen antworten, wenn es freilich auch dann mehr um Unterstellungen durch eine Dame denn um die Sache geht.

Der Fraktionsvorsitzende läßt sagen, daß er überall Kollegen hat und daß man zu Kollegen natürlich „Hä, Kollege“ sagt. Denn so ist das in der Demokratie.

Und die Ministerin, die nun, wie es heißt, Bundespräsidentin werden will, klärt als demokratische Justizministerin zunächst einmal, was Bürger, insbesondere aber Professoren dürfen und was nicht, dann sagt sie, daß Ministerpräsidenten natürlich auf Kosten der Bürger Geburtstag feiern können, weil ein demokratischer Ministerpräsident niemals privat feiert, wenn er feiert.

Demokratie ist also: schön Geburtstag feiern, „Hä Kollege“ sagen und sich Nicht-Kollegen von Leuten, die wir dafür bezahlen, vom Halse halten.

Was aber ist Dialog in der Demokratie? Dialog in der Demokratie ist der Austausch von Gedanken. Der Austausch von Gedanken setzt Denkende voraus. Offenbar werden aber Denkende gern durch Referenten, Gedanken durch ablenkende Fälschungen und der Dialog durch Strafrede ersetzt. Das geschieht immer dann, wenn einer der Dialogpartner meint, daß der beste Dialog sein Monolog sei, dessen Störung verhindert werden müsse, da ja sonst jeder kommen könne, obwohl doch Präsidenten, Vorsitzende und Minister als solche schon Allegorien des demokratischen Dialogs seien.

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