Zur Lage der Nation

Bemerkungen zur Sprache, Literatur, Kultur, Politik und

zu den Medien in Deutschland

 Herausgegeben von Helmut Arntzen

 

Nummer 11 ( September/Oktober 2005)

 

         

  

  

INHALT: VON DER POLITIK: Vor den Wahlen. VON DEN ACHTUNDSECHZIGERN: Schnibbens Achtundsechziger. VOM TÄGLICHEN LEBEN: Automobilkunde. VON DER SPRACHE: Das Sprachdenken Martin Heideggers – Sprache und  Mediensprache II – Öffentliche Rede:Sprachdenken/ Politische Rede / Mediensprache. VOM JOURNALISMUS: Phänomenologie des heutigen Journalismus I. VON DEN KIRCHEN: An einen kirchlichen Rundfunkbeauftragten. VOM (EINSTIGEN) LEBEN: 1952.

  

  

VON DER POLITIK

  

Vor den Wahlen

  

Plötzlich erodiert das System für jedermann sichtbar. Eine entscheidende Wahl geht verloren. Die Regierung gibt auf. Ein ehemaliger Parteivorsitzender und Kanzlerkandidat tritt aus seiner Partei aus und kandidiert für eine neue, die zu einem wesentlichen Teil aus ehemaligen SED-Mitgliedern besteht.Der Bundeskanzler veranstaltet ein Mißtrauensvotum, das er verlieren will, um dann Neuwahlen veranstalten zu können. Manches ähnliche gab es schon vorher, aber nun häuft es sich.Doch ist das alles erst der Anfang. Die frommen Behauptungen, die Demokratie sei in Deutschland gefestigt, werden ihre Fragwürdigkeit erweisen. Die Politiker wissen immerhin, daß allein durch die Europäisierung Deutschlands sich die Folgen der Erosion des Systems aufhalten lassen und daß sie jedenfalls dadurch sich ihrer Verantwortung für die Entwicklung entschlagen können. Aber es kommt nun  auch zur Erosion in Europa , wie die Ergebnisse der Referenden in Frankreich und den Niederlanden und das Desaster über die Verteilung der Finanzen zeigen. Wie aber kam und kommt es zur Erosion v.a. in Deutschland, wo ja Wirtschaft und  Gesellschaft jahrzehntelang in goldener Sicherheit sich zu wiegen schienen?

Zunächst :Das System des neuen Deutschland war auf Sand gebaut. Im Osten kam das nach langer Selbstbeschwindlung der Herrschenden und Beschwindlung des Volkes auf eine Art zutage, die ihresgleichen sucht. Fast von einem Tag auf den anderen zerbröckelte ein Staat, der sich gern als rocher de bronze präsentierte und zu dem westdeutsches Gelichter Zutrauen hatte, weil er mächtig schien und der Obermacht des Ostens besonders genehm. Man machte nur das Tor auf, und schon waren die Apparate kaputt.

In Westdeutschland sah es ganz anders aus. Man hatte zwar ebenfalls das politische System sich von den Siegern verpassen lassen, aber oben und in der Breite darauf immerhin selbständig reagiert. Einmal durch einen outrierten, aber im wesentlichen gerechtfertigten Antikommunismus, der aus der Nazihörigkeit Konsequenzen zu ziehen schien und von gemäßigt Links bis Rechts eine Gemeinsamkeit herstellte, die aufrichtigste Abwehr mit schierem Opportunismus verband (wobei in „aufrichtigster Abwehr“ sich noch der Antibolschewismus von Altnazis und die Diktaturabwehr ehrlicher Leute trafen).

Vor allem aber setzte man auf die unpolitische ‚Ankurbelung’ des marktwirtschaftlichen Systems, das als „soziales“ Kapitalisten, Kleinbürgertum und Arbeiterschaft verband. Das bleibt natürlich eine ganz außerordentliche Energieleistung,die dann zum Wirtschaftswunder hochgefeiert wurde, obwohl es natürlich nichts anderes war als die Herstellung einer Interessengemeinschaft, die unter dem Namen „Wohlstand für alle“ sich etablierte und als solche durch Jahrzehnte hin funktionierte. Indem aber alle und alles sich darauf konzentrierte, verzichtete man auf ein Fundament, das aus entschiedener Reflexion des Nazitums, Aktivierung  der großen Kunst- und Denktraditionen des Landes, strikter Rechtlichkeit in Justiz und Verwaltung und deutlichen Bildungskonzepten hätte bestehen müssen. Statt dessen wurde all das nur aus Dekorationsgründen benutzt, um die Kahlheit von Aktiengewinnen und Produktionserfolgen zu verstecken. Denn die Nichtigkeit architektonischer Entwürfe, die Mittelmäßigkeit von Literatur und Künsten (bis auf bedeutende Ausnahmen) und die nur von wenigen Erscheinungen kontrastierte Plattheit des Denkens waren der klare Ausweis der bloßen Schmuckfunktionen des sogenannten ‚Geistigen’, wie sie sich schon im Kaiserreich gezeigt hatten.

Doch das Schlimmere übertraf das Schlimme. Die Achtundsechziger erhoben den Anspruch, Remedur zu schaffen, trugen aber nur Gewalt und einen neuen Jargon in die Gesellschaft, die ihrerseits sich wieder einmal durch Duldung der Täter exkulpiert glaubte. Man sehe nur auf die Texte der Revolutionäre und kann erkennen, daß von den höchsten Hervorbringungen (die überdies noch von einer älteren Generation stammten) bis zu dem, was das Geschlecht selbst hervorbrachte, nämlich durchschnittlichen bis armen Traktätchen, denen vor allem daran lag, ihre Gewalt und ihre Sexualität zu legitimieren, nichts Nennenswertes blieb.

Den Nachlaß dieser selbst schon außerordentlich Durchschnittlichen bildet die jetzige Regierung. Die wenigen, die diesem Nachlaß nicht entstammen, etwa Herr Stolpe, sind eine schreckliche Mischung aus Lethargie und einem Opportunismus, dessen allerletzter Abhub der von kirchlichen Mitläufern war, die wie jener Humboldt-Rektor Fink ihre theologischen Hauptverdienste als Spitzel einfuhren. Am repräsentativsten sind aus diesem Nachlaß freilich jene beiden, die die Spitze dieser Regierung bildeten und wieder bilden wollen. Der eine hat sein Stärkstes als Juso-Vorsitzender mit Kabinettslisten auf Bierdeckeln  und mit dem revolutionären Ruf vor dem Kanzleramt „Ich will hier rein“ geleistet.Nachdem er drin war, hat er sich als Politiker damit bewährt, daß er sich jeweils so entschied, wie es ihm am nützlichsten für die nächsten fünf Minuten erschien, bis er vor lauter Wendungen eingerastet ist und dies als Standfestigkeit inszeniert. Denn nun fiel ihm nicht einmal mehr eine neue Wendung ein, obwohl sich auf die sein ganzer Einfallsreichtum stets kapriziert hatte. Der andere trat nach der Phase des Abbruchs aller Schul- und Lehrzeiten zugunsten  von machtorientierter Bohème in die Phase des revolutionären Prügelns ein, die dann stracks in die philosophischer Lektüre während des Wartens auf Taxikunden umschlug. Dann beschloß er, Politiker zu werden, war alsbald  hessischer Staatsminister, hatte schließlich, wie es ihm einfiel, den Beruf „Staatsminister a.D.“, konnte aber vor dem Berufswechsel zum Bundesaußenminister und Vizekanzler wegen Überlastung sich nur noch journalistischer Rhetorik, nicht aber schlichter Grundkenntnisse der Sprache, in der er sich aufhielt, versichern, so daß er z.B. „Visa“ für einen Singular hält, von dem er den Plural „Visas“bildet. Aber da das dem Stande der Sprachfähigkeiten ganzer Generationen entspricht, verhinderte es nicht, sondern förderte eher seinen Aufschwung zum geschätztesten Politiker der Deutschen, zumal es bestätigte, daß dazu nicht mehr gehört als eine große Klappe.

Dies nun ist es, was von dem großen Energieaufwand der Eltern und Voreltern aus den fünfziger und sechziger Jahren für die Gegenwärtigen übriggeblieben ist und was, wie Politiker, Journalisten und tutti quanti  bewiesen, lange Zeit ausreichte, die deutsche Republik so zu erhalten, daß sie intakt erschien. Den Erben sah man vor allem verschwenden. Er hatte zu allem eine Meinung, tat so wenig als möglich, reiste von einem Urlaub in den anderen und forderte, unterhalten zu werden. Das kam insbesondere bei den Jungen in allerhand schönen Manifestationen zum Ausdruck, so bei den Studenten darin, daß sie sich auf Semesteranfangs-  und Semesterschlußfêten und -discos konzentrierten. Sie hatten überdies schon von ihren Achtundsechziger-Ahnen erfahren, daß es darum gehe, sich Staatsknete zu verschaffen. Hatte man aber saturierte Eltern, so waren starke Wechsel an die Jungen die Garantie, Ruhe für die eigenen Späße zu haben. Zwar sorgten Politik wie Journalismus für die Verbreitung des Glaubens, daß „das Volk“ viel klüger sei, als die Konkurrenz, die dasselbe sagt, annehme. Doch weiß es so wenig wie seine Politiker, was zu tun sei, denn es ist mit ihnen in Jahrzehnten sozialer Marktwirtschaft einer geistigen Lethargie verfallen, die nur  noch bei Bundesligaspielen durchbrochen zu werden scheint, welche aber von gleicher Mittelmäßigkeit zeugen wie die sonstigen Lebensäußerungen des Volkes.

Das ist so wenig wie seine Politiker in der Lage, auch nur ansatzweise auf den neoliberalen Druck der Weltwirtschaft einzugehen, obwohl es doch in Jahrzehnten gelernt hatte, Wirtschaft („Horatio“ und „stupid!“) als das einzige, was zählt, zu betrachten, weil ja in der Tat es das ist, was nur zählt und sonst gar nichts. Es ist also eigentlich wieder bei seinen Anfängen angekommen, doch hat es inzwischen gemeint, deren Entwicklungen liefen a) von selbst und b) wie geschmiert, während die Spargelstecher und Rikschazieher wissen, daß dies nicht so ist und sich darum in einem Maße anstrengen, das wahrhaft menschenunwürdig ist, wiewohl dem aber die hiesige Welt aus Tralala und Tricksen  nicht als das Menschenwürdigere gegenübersteht.

Wohin soll es nun gehen? Mit Münte in die sozialen sechziger Jahre zurück,die freilich leider nicht mehr rekonstruierbar sind? Mit dem Mädchen in die naturwissenschaftlich abgesicherte neobliberale Zukunft, die hart und sinnlos sein wird? Mit den Altachtundsechzigern in den herrschaftsfreien Diskurs, von dem sie sich mal in Prügeleien, mal in der Toskana ausruhten? Das wird den Blödsinn schwadronierenden Nichtdenkens und Nichtstuns allerdings nur fortsetzen. Mit den Managern, die nicht einmal mehr eine ordentliche Insolvenz zustande bringen, sondern nur noch ihre Gehaltvorstellungen artikulieren können? Mit den „Menschen“, wie die Politiker sich entschlossen haben, den Bürger zu nennen, der jederzeit zum Beifallklatschen ebenso bereit ist wie zur Verdrossenheit?

Wenn einmal die immer aufs neue anbrandenden Fluten des immergleichen Geschwätzes abgelaufen sein werden, wird sich der leere Strand vollkommener Ratlosigkeit zeigen, denn sechs Jahrzehnte des Reflexionsausfalls und der Anhäufung von Medienmüll sind nicht wett zu machen. Auch der Verlust von Alltagsanständigkeit, Glaubwürdigkeit, Ernsthaftigkeit, richtigem Urteil, Nachdenklichkeit ist nicht zu verkraften. Die taumelnde Gewitztheit  jenes deutschen Bürgers, der säuft, knutscht und die Versicherungen betrügt, die ihn betrügen, wird nichts richten können.

So wird man auf ein Land blicken, das auch die Tugenden, die ihm den Weg in das wirtschaftliche Gelingen geebnet haben, verloren hat.Auf ein Europa, in dem ein Mythos durch eine Bürokratie realisiert wurde, die als solche schon erkennen läßt, daß ihr jede demokratische Legitimation fehlt. Denn sie arbeitet Institutionen zu, die unfähig sind, unfähig sein wollen, die einfachsten Regeln der Gewaltenteilung ernst zu nehmen, in denen vielmehr Legislative und Administration zusammengeklebt wurden. Auf eine globalisierte Welt, deren einziger Sinn noch die Produktion , der Handel und die Konsumtion von Gütern ist, die Damenschirme, Fahrräder, Sattelschlepper, Computer u.ä. heißen. Die gibt für das Gelingen der Ökonomie das Mißlingen der universellen Politik in den Kauf, die nach dem Holocaust bisher nicht einmal  in der Lage war, Kambodscha, Ruanda, Kongo, Darfur zu verhindern, dafür aber in der Lage sein wird , den Sicherheitsrat mit weiteren ständigen Mitgliedern zu zieren, was voranzutreiben eines der unsterblichen Verdienste unseres gegenwärtigen Außenministers ist. Das wird die Ratlosen ermuntern und Politikern wie „Menschen“zeigen,wohin der zähe Wille der unverantwortlichen Verantwortlichen uns alle führt: hinab, hinab.

  

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VON DEN ACHTUNDSECHZIGERN

  

Schnibbens Achtundsechziger

  

                                                     I

  

In Nummer 24/2005 des „Spiegel“ „antwortet“ Cordt Schnibben auf einen Beitrag von Matthias Matussek, der in der vorhergehenden Nummer die „ungehaltene Wahlkampfrede“ „eines ‚jungen Konservativen’“vorstellte. Man sieht nicht, worin diese Antwort bestehen soll. Aber das ist auch nicht sehr wichtig. Schnibben gibt unter dem Titel „Der röhrende Hirsch“ Bericht von  dem Auftritt jenes „jungen Konservativen“ in Husum, den er als einen dicken Mann erlebt hat, der „das Manifest eines Amokläufers“ von sich gegeben habe. Dieser, nun ein „schwarz-gelber Taliban“, habe „in zehn Minuten alle Regeln der politischen Kommunikation“ zertrümmert. Das ist freilich eine Leistung, aber was uns mitgeteilt wird, v.a. als Charakterisierung dieses Mannes, ist so, daß man sich fragt, warum man deswegen gleich Klaviere zertrümmern muß. Cordt Schnibben jedenfalls sah sich bemüßigt, als Zuhörer auf einen Stuhl zu steigen  und die Sätze des Mannes, an dessen Seite nur wenige, wie er ausdrücklich sagt, „kämpften“, „zu zerschreddern“und den „vier, fünf Leuten, die mir zuhörten“, alles, und zwar brüllend entgegenzuhalten, „was so aus einem herausbricht, wenn jemand einen wunden Punkt erwischt“. So unverständlich die Schnibbensche Aktion um einen dicken Mann, der „Schwachsinn“ verbreitet, bleibt, interessant ist dennoch der „wunde Punkt“.

Denn Schnibben spricht nun ruhig und  besonnen von  den Zuständen in Westdeutschland „Mitte der sechziger Jahre“, dann von Rot- Grün und deren Abschied. Der Darstellung der Adenauer-Zeit kann man in den wichtigen Punkten durchaus zustimmen. Schnibben nennt sie eine „wilhelminische Sofakissendiktatur“, ich würde eher von der Freiheit in einer Gummizelle sprechen, aber das sind übliche Urteilsvarianten. Ob Urteile wie „die Außenpolitik war in Ordnung“ hinsichtlich der Rot-Grünen angesichts des Geschehens im Kongo, in Darfur, in Tschetschenien, aber auch der Entwicklungen in China und Rußland, der Putin- und Chirac-Kumpanei Schröders  und vielem anderen gerechtfertigt sind, ist sehr zu fragen. Über die Innenpolitik der Herrschaften sagt er nichts deutliches, aber immerhin, die Regierung habe mehr auf den Bürger setzen sollen als auf den Staat. Er sagt auch, daß man es demagogisch nennen könne, wenn man wie Schröder „den Bogen zwischen Flut und Hartz IV“ herstelle: „aber die Leute folgten dem Kanzler glücklich“. Das nun wieder könnte eine Diskussion darüber eröffnen, wie denn die Bürger, auf die man setzen soll, und jene, die dem Kanzler glücklich folgten, zusammenpassen, auch und gerade weil es doch dieselben sind. Danach fragt Schnibben aber nicht, doch sieht er richtig, daß von der CDU auch nicht viel zu erwarten ist. Aber deswegen darf man Rot-Grün ja nicht ein Gutachten ausstellen, das für die Außenpolitik ein  Placet gibt und von der Innenpolitik nur sagt, die CDU werde es auch nicht besser machen. In  der Außenpolitik hatten wir jenen ungeheuren Über-Genscher namens Fischer, der  im wesentlichen nur den herrschenden Jargon gelernt hat  und mit seinem UNO -Europa-Amerika-Rußland-Israel-Arabien-Friedens-Gerede (allen wohl und  niemand weh)von einer Umarmung in die andere gejettet ist, ohne irgendetwas Nennenswertes außer den Erlassen über „Visas“, wie er das  nennt, zustande zu bringen. Und in der Innenpolitik hat es so gut wie nichts gegeben, das „handwerklich“, also durchaus in Ordnung war, weil es nie eine Perspektive gegeben hat, die Ergebnis eines Nachdenkens gewesen wäre. Was auch nicht möglich war, da niemand in dieser Regierung, den einzigen Schily vielleicht ausgenommen, denken konnte. Denn es waren Achtundsechziger.

Und das ist, auch in Schnibbens historischer Melange, der wunde Hauptpunkt. Wie kann er sich, ein Spiegel-Intellektueller,  bis zum Paroxysmus über einen dicken Mann aufregen, dem er „Schwachsinn“ bescheinigt und der nach dem, was Schnibben von ihm berichtet, in der Tat ein Faselhans war, aber immerhin begriffen hat, daß den Achtundsechzigern von allen Toleranzkanzeln „Halleluja“ gesungen wurde. Die hätten, so Schnibben, „das Alltagsleben verwestlicht, die Republik demokratisiert, die Autoritäten beschnitten, das Land weltoffener gemacht“. Meint er mit Verwestlichung die Wut auf die USA, die ja nicht erst bei Bush beginnt? Meint er mit Demokratisierung der Republik die Herrschaft der political correctness, den Wechsel von der Adenauer-Demokratie zur Medien-Demokratie, die uns vorleitartikelt, was und wie wir zu denken haben? Meint er mit ‚Beschneidung’ der Autoritäten, daß durchgesetzt wurde, welche Autoritäten gelten und welche nicht? Fischer meine (und Schnibben ist offenbar gleicher Meinung), „die 68er hätten einen Beitrag zur Befreiung geleistet“. Wir dachten immer, dieser  Beitrag sei von den Alliierten geleistet  worden. Aber in der Tat trugen die  Achtundsechziger jedenfalls zu Fischers „Befreiung“ Beachtliches bei. Denn welcher Befreiungsbeitrag wäre für ihn größer gewesen als der, zu erleben, daß man plötzlich nicht einmal im bescheidensten Felde eines Schul-oder Berufsabschlusses reussieren müsse, daß man sich eine Zeitlang durch Prügelei, eine andere durch Taxifahren weiterbilden könne, daß man schließlich eine Zeitlang nur herumzugammeln brauche, um dann im Schoß einer neuen Partei sich alsbald zum Staats-und Bundesminister zu wandeln, der zwar kein Deutsch, aber den erwünschten Jargon gelernt hat. Das allerdings ist ein schlechthinniges Exempel dessen, was die Achtundsechziger weniger für Land und Gesellschaft, aber für sich selbst getan haben.

  

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                                                     II

  

Was sie für Land und Gesellschaft getan haben, haben wir erlebt, die wir sie von Anfang an betrachten konnten. Hut ab vor den Anfängen der Außerparlamentarischen seit 1965. Die elende Prügelei von Schah-Pöbel und Berliner Polizei mit der Tötung Ohnesorges 1967 wird unvergessen bleiben. Auch Rudi Dutschke bleibt eine sehr honorige, wenn auch zu Outriertheiten neigende Persönlichkeit. Und seine Ermordung durch einen von der Presse Aufgehetzten ist für mich eine persönliche Erinnerung, geschah sie doch ein paar hundert Meter von unserer damaligen Wohnung entfernt. 

Doch gerade gibt mir ein  Freund ein bescheidenes Heft, das die Universitätsbibliothek der FU Berlin „Walter Pabst, Romanist“ gewidmet hat, der ihr seine Bibliothek vermachte. Wenn ich mich recht erinnere, war Pabst Mitglied meiner Habilitationskommission, dem ich deswegen einen Besuch machte. Pabst war vom Jahrgang 1907 und also einer derjenigen, die als junge Leute während der Nazi-Zeit ihr Auskommen finden mußten. Er war erst beim Berliner Lokalanzeiger, dann seit 1938 als Kulturjournalist in Italien. 

Schlugen die Studenten, die später als Achtundsechziger firmierten, wie viele Generationen vor ihnen über die Stränge? Nein, sie behaupteten, sie müßten tun, was ihre Eltern versäumt hätten und den „Muff  aus tausend Jahren“ beseitigen. Dafür hatten sich in der Tat etliche qualifiziert, indem sie z.B. ernsthaft Texte Hegels, Marx’, Benjamins, Adornos, Herbert Marcuses, der Psychoanalytiker studierten. Aber daß sie Kant, Schiller, Humboldt und Nietzsche so gut wie gar nicht lasen, fiel schon an den ersten Jahrgängen auf. Die nächsten, die seit ’68 das Wort führten, waren am Lesen überhaupt nicht sehr interessiert. Sie wollten Aktion, sie wollten es laut.

Am 23.1.1969 gibt es einen Einbruch in Dienstzimmer des Romanischen Seminars: Schränke und Schreibtische werden aufgebrochen, Akten geraubt. Am 7.5. wird ein sog. „Steckbrief“ gegen die Romanisten Baader, Loos, Friedrich und Pabst veröffentlicht, in dem diese des „Betruges“ der „Begünstigung im Amt, schweren Diebstahls, [der]Unterschlagung, neonazistischer Umtriebe und [der]Verfolgung politisch Andersdenkender“ beschuldigt werden. Am 8.5. werden die Herren Baader, Loos und Pabst „im Seminar belagert und auf ihrem Weg ins Dekanat mit Eiern und Farbeiern“ beworfen. Am 1.12. veröffentlicht die Rote Zelle Romanistik aus der italienischen Zeit des jungen Pabst einen Artikel, der vom „Wettkampf der italienischen Universitäten“ handelt unter dem Gesichtspunkt, daß italienische faschistische Studenten sich in einem „alljährlichen Olympia der Körper und Geister“ messen. Es ist keine erfreuliche Lektüre, aber auch nicht mehr als eine dem chauvinistischen Zeitgeist huldigende und übertreibende journalistische Suada, wie es sie in diesen Jahren tausendfach(vor allem bei Journalisten) gab.Sehr wohl konnte das aber gerade darum in Frage gestellt werden. Aber die „Rotzrom“ (welch entsetzliche selbstdenunzierende Abkürzung!) wollte dies als eine Art Verbrechen einzig des Professors Walter Pabst verstanden wissen. Sie leitete jedenfalls daraus die Berechtigung ab, von Pabst zu fordern,  er habe sofort  alle seine Lehrveranstaltungen auszusetzen, seine Versetzung in den Ruhestand zu beantragen und seinen französischen Orden ‚abzugeben’. In einem Flugblatt vom 3.12. wird von Pabst behauptet, er habe „selbst genug Braunes an seinem wissenschaftlichen Stecken“, Studenten, die „die reaktionäre Wissenschaftsscheiße am Romanischen Seminar“ kritisierten, würden von Pabst und seinen Kollegen „allesamt denunziert“. Man spricht von „Denunziantenschweinen“. Man müsse sich „auf der Uni lauter für die Schule unbrauchbaren Mist“ aneignen. Man werde „an der Uni verblödet“.

Das sind nur einige Zeugnisse aus dem Jahr 1969, an der Freien Universität Berlin, aus deren Romanischem Seminar. Was zwischen und nach den genannten Daten dort täglich und über Jahre hin  an infamem Verhalten,  an Beleidigungen,  an barbarischem Reden und barbarischen Attacken geschah, ist nur charakterisierbar, wenn man es mit dem Vorgehen jugendlicher Nazis an deutschen Universitäten 1932/33  vergleicht. Es ist die Präsentation einer grenzenlosen Schande innerhalb der Zivilisation. Das ist und bleibt sie jenseits der Frage, ob denn nicht im Gegensatz zu 1932/33, wo es ja v.a. um schändliche Angriffe auf jüdische Hochschullehrer ging, hier es durchaus, und zwar auch im Falle von Herrn Pabst, Gründe für Kritik und Fragen gegeben habe.Denn Diktion, Behauptung, Vorgehen und Forderungen waren nicht die kritischer Geister, sondern die von Barbaren. Und dies sind sie tausendfach an allen westdeutschen Universitäten gewesen.

Cordt Schnibben sagt, die Achtundsechziger hätten „das Alltagsleben  verwestlicht, die Republik demokratisiert, die Autoritäten beschnitten, das Land weltoffener gemacht“.

Wenn  das nicht wie oben angedeutet eine der Selbstbeschwindlungen eines Achtundsechzigers ist, der sich nicht eingestehen mag, was wirklich dank seiner Kommilitonen geschah, dann ist es massiv und ohne Einschränkung gelogen. Denn wer denkt, schreibt, tut, was sich bspw.im Romanischen Seminar der Freien Universität Berlin 1969 zeigte, der darf nicht mit der Exkulpation operieren, es habe sich um bedauerliche Einzelfälle gehandelt. Einmal nicht, weil schon das , was zitiert wurde, nicht nur von einzelnen formuliert und geplant, sondern von vielen gebilligt wurde. Sie hatten im Nu wie eine SA-Kohorte, ja schlimmer als sie, denn sie behaupteten ja, Intellektuelle zu sein, die Zivilisation  verlassen und verraten und traten auf Jahre nur noch als Pack hervor. Am 24.5.71 hatte es im Romanischen Seminar  gesiegt. Acht Mitglieder des Fachbereichsrates „Neuere fremdsprachliche Philologien“, darunter Herr Pabst, legten ihr Mandat nieder. Sie schrieben u.a., die Lehr- und Lernfreiheit im Fachbereich bestehe seit langem nicht mehr, das Präsidialamt bleibe untätig, „möglichst viele gläubige ‚Marxisten’“ sollten „auf freie Stellen gebracht werden“, „seelische Zermürbung, Resignation und Hoffnungslosigkeit bei den Lehrenden“ sei zu konstatieren , der Universitätspräsident begünstige die Eroberung der Universität „durch radikale, ideologisch einseitig fixierte Kräfte“  Dies alles geschah allerorten und an sehr vielen Instituten, in denen sich z.B. die Germanisten, die doch mit deutscher Sprache und deutscher Literatur sich zu beschäftigten behaupteten, durchweg mehr noch hervortaten als die Romanisten, von denen hier die Rede zu sein hatte.

  

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                                                     III

  

Es ist nicht wahr, daß Achtundsechziger, die in der Überzahl so dachten, sprachen, taten wie dokumentiert, mit diesem Bewußtsein überhaupt in der Lage gewesen wären, das Land von den Verklebungen und Verwirrungen der Adenauer-Ära zu befreien oder gar die Schande des Nazismus zu bedenken. Denn sie waren nicht moralische Kritiker, sie waren fast durchweg Karrieristen, die einzig das Ziel hatten, auf bequeme Weise und rasch an „Staatsknete“ zu kommen. Schon ganz früh, nämlich in einem Gedächtnisprotokoll vom  7.12.1969 heißt es, daß „Rotzrom sich einverstanden erklärt [habe], auf weitere Angriffe gegen Pabst zu verzichten“, falls ihr Kandidat eine Assistentensstelle bekommen werde. Das ist der höchst bescheidene, aber charakteristische Anfang  des Pöstchenpokers, der seinen angemessensten Ausdruck bei Übernahme des Auswärtigen Amtes durch Joschka Fischer fand: „Alles meins“.Ihre Väterkritik aber war nur das, was sie glaubhaft machen sollte, obwohl doch  allzu rasch sich zeigte, daß sie Schwindler und Scharlatane waren.In den Hochschulen und Schulen zeigte es sich, in den Regierungen und Verwaltungen, in den Parteien und vielen Verbänden, in den Medien vor allen Dingen.

Und ihr Schwindlertum hing eng zusammen mit ihrer entsetzlichen Unfähigkeit, mit ihrer Weigerung , irgendetwas ernsthaft zu betreiben. Sie waren als Tätige nichts, schon weil sie in jedem Sinne faul waren, und als Denkende äußerst mittelmäßig. Wer ist aus diesem Geschlecht hervorgegangen, dessen Sätze sich zu lesen lohnten? Was ist von der Unzahl von Jargonbändchen der siebziger Jahre übriggeblieben?  Niemand nähme sie heute auch nur geschenkt.  Ihre  Verfasser beriefen sich vielfach auf Adorno, aber waren nichts anderes als die „dummen Kerle“, von deren uneindämmbarer Überflutung der Welt jener früh schon gesprochen hatte.

Und daß sich ihr Schwindlertum durchsetzte, hatten sie vor allem denen zu verdanken, die sie „Scheißliberale“ nannten, jenen, die sich die Finger selbst nicht ganz schmutzig machen wollten, aber alles verstanden und nahezu alles tolerierten wie jener durch die Pabst-Papiere geisternde Präsident Kreibich, von dem die Geschichte nichts anderes zu berichten weiß, als daß er durch Unfähigkeit und Voreingenommenheit den Ruin der Freien Universität bewirkt hat.

Daß das Bewußtsein dieses Landes von vielen Hauptschulklassen bis zur Regierung  so unsäglich verkommen ist, so daß da wie dort kein regelrechter und kein selbstgedachter Satz mehr zustande kommt, sondern nur noch Bürokratendeutsch, Reklamegefasel und Medienjargon herrscht, daß es keine Literatur mehr gibt und keine Philosophie, nichts Eigenständiges, nichts Kluges, sondern nur die Repetition des Immergleichen, daß der Übergang vom rigiden Antikapitalismus in den puren Kapitalismus sich gleitend vollzieht, ist jenen Nichtskönnern, Nichtdenkern, Sprachlosen zu verdanken, für die Cordt Schnibben auf den Stuhl steigt, um eines dicken Mannes Sätze zu „zerschreddern“, die doch  nur Ausgeburten jener Sätze fortschrittlicher dummer Kerle sind, die uns als befreiende Achtundsechzigerprosa immer noch, immer wieder serviert wird.

  

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VOM TÄGLICHEN LEBEN

  

Automobilkunden

  

Man hört von den armen Hascherln, den Autoproduzenten, daß ihnen die Autos umkippen oder daß sie sie zurückrufen müssen und daß es ihnen schlecht gehe und sie dankbar seien für jeden Kunden.  Man hält das als Kunde für  angenehme Informationen. Man spitzt sich  auf Tage des Glücks, auf ein Erlebnis, das uns sonst nur die Reklame, also der organisierte Schwindel vorgaukelt. Vielleicht ist der Kunde in diesen dunklen Zeiten doch wieder König oder wenigstens ein geachteter Bürger, und vielleicht sind diese grinsenden  oder impertinenten Vorstandsvorsitzenden und ihr Anhang gar auf ihn angewiesen.

Man sieht sich um. Warum immer nur R? Von T wird gesagt, daß diese Autos wenig reparaturanfällig seien , daß der Service glänze.  Aufbruch zu einem T-Händler. Bei dem stehen unzählige neue Wagen. Man spürt, wie sie auf jemanden warten, der sie haben will.

Der Autoverkäufer ist erlesen freundlich: „Was kann ich für Sie tun ?“. Er empfiehlt das Modell A, läßt probesitzen, sagt, daß er sich über weiteres Interesse freuen würde.

Interessant ist, daß der Verkäufer sich nach der Verabschiedung strikt zurückhält: kein Anruf, keine Frage. Anweisung der Firma? Eigene Entscheidung? Nach geraumer Zeit melden wir uns wieder. Wir möchten, sagen wir, ein Exemplar übers Wochenende testen. Das wird rasch akzeptiert. Der Verkäufer bittet aber darum, unseren jetzigen Wagen zur Prüfung bei dem Händler stehen zu lassen. Er selbst sei am Samstag nicht im Hause, doch ein Kollege werde informiert.

Die Information scheint, haben wir den Eindruck, nicht sehr stark gewesen zu sein. Der Ersatzmann ist ziemlich uninteressiert, überläßt uns aber ein Exemplar. Wir liefern ihm die Schlüssel und Papiere unseres Autos. Das Modell A scheint ein gutes Fahrzeug zu sein, wir bringen es am Montag wieder zurück und sind gespannt, welches Angebot der Verkäufer machen wird. Er bittet uns in sein Büro und erklärt uns nach einigen freundlichen Präliminarien,  daß unser Auto mehrere beträchtliche Schäden habe, - wie das, wir haben bisher nichts davon bemerkt –deren Beseitigung etliche tausend Euro kosten werde. So könne er uns nur das bescheidene Angebot von...machen, und er nennt einen wirklich sehr kümmerlichen Preis, der unser Interesse auf Null sinken läßt. Auch regt er an, als seien wir in den Siebzigern, unser Auto doch privat zu verkaufen.

Da wir mit dem alten Auto noch eine längere Fahrt planen, sind wir über die Monita irritiert.

Wir bitten eine kleinere Kfz-Werkstatt doch zunächst per Augschein zu prüfen, ob an den Defektbehauptungen etwas sei. Nein, sagt der Chef, der dieses „Nein“ entschieden wiederholt, als er auf  meine Bitte – „Sie sind aber verunsichert“ – das Auto einige Tage später auf die Bühne hebt und abermals prüft.

Wir kommen zu dem Ergebnis, daß T an dem Geschäft völlig uninteressiert ist, weil man für R nichts übrig hat und es auch  nicht besonders nötig hat, ein Auto zu verkaufen. Gut gefällt uns an der Reaktion allerdings gar nicht, daß als Hilfskonstruktion für die Fast-Ablehnung Schäden insinuiert werden, die es gar nicht gibt. Auf der ganzen Strecke von 2 ½  tausend Kilometern haben wir nicht eine einzige technische Störung, aber ständig prüfen wir, ob sich nicht doch eine bemerkbar mache.

  

Rückkehr zu R. Dort macht uns der Händler gleich ein ordentliches Angebot, so daß wir einschlagen.3 ½ Wochen danach können wir das Auto abholen. Was uns bei dem Abschluß des Geschäfts und der Übergabe des neuen Wagens auffällt, ist Atmosphärisches. Es mag an dem Ungeschick des Angestellten liegen, daß wir nicht  einen Augenblick meinen, wir seien begehrte Kunden. Es ist vielmehr so, wie es fast überall  in Deutschland und in allen Branchen  ist: Der Kunde ist ein  zwar unumgänglich geduldeter, aber eben nur geduldeter Teil der Geschäftsvorgänge. Nicht daß es ihm einfalle, auf besondere Aufmerksamkeit zu hoffen.Bei der Übergabe wird uns namens des Autoherstellers eine Flasche Sekt  übermacht. Das zeugt bei einem Auto, das im Zusammenhang mit Flüssigkeiten stets Benzin assoziieren läßt, nicht von besonderer Vorstellungskraft, zumal das Etikett mit dem Autofabrikat versehen ist.

Man hat nun zu tun, die mannigfachen Einfälle der Ingenieure sich anzueignen, was in den nächsten Tagen geschieht. Schon nach gut einer Woche steht man vor  einem Problem: Das Auto, das mit einem neuen Verschluß- und Öffnunssystem versehen ist, läßt sich nicht öffnen: nicht spontan, was es eigentlich tun soll, nicht mit Hilfe einer Card, die gedrückt werden muß.

Ein kleiner Leidensweg des Service-Bedürftigen beginnt. In der auf Reparaturfunktionen zurückgestutzten Vertretung am Ort ist der Chef um ¼ vor 12 beim Essen, der einzige Angestellte kann, so seine Mitteilung, seinen Platz nicht verlassen. Doch werde er den Chef benachrichtigen. Anruf bei dem Händler, 15 km vom Ort des Geschehens entfernt. Der, ein älterer Mann, wirkt tatkräftig. Er sucht mich zunächst in die Position eines Mitarbeiters einzuweisen, stellt mir aber, als das scheitert, den raschen Besuch eines Kundigen in Aussicht. Der kommt, kurz darauf der Reparaturchef, der mir aber Vorhaltungen macht, daß ich ihn trotz Bestellung des anderen Mannes habe kommen lassen. Es wird festgestellt, daß die Batterie entleert ist, weil ich vor zwei Tagen in der Garage versäumt habe, das Licht abzuschalten. Meine Reaktion ist: „Sind wir in Zeiten, als die Frage, ob das Licht abgeschaltet sei, eine Standardfrage war? Bei einem hochtechnischen Gefährt unserer Tage darf es doch zu einem solchen Vorfall nicht kommen.“ Das aber ist ein Argument, das bei niemandem der Beteiligten Eindruck macht. Die hiesige Repräsentanz der Automarke schlägt sich geschlossen auf die Seite der Firma, wahrscheinlich gar nicht so sehr aus kommerziellen Gründen, sondern aus solchen tiefer Überzeugung, daß ein blutiger Laie eben einfach  nicht in der Lage ist,  ordentlich mit  diesem Wunderwerk der Technik umzugehen. Das ist nämlich , muß ich einsehen, nicht für Kunden, die transportiert werden wollen, gemacht, sondern zur Erbauung von technischen Kennern und Interessierten. Der Reparaturchef fährt mir mit der Bemerkung über den einwendenden Mund, dies sei die fortgeschrittenste Technologie der Welt. Mir wird demonstriert, daß das Auto piepe, wenn das Licht nicht abgeschaltet werde. Mehr, werde ich belehrt, könne der Hersteller nicht tun. Wenn ich aussteige, bin ich freilich von Gepiepe eingehüllt. Mein altes Auto sagte mit menschlicher Stimme, das Licht sei nicht ausgeschaltet. Nun weiß ich mich von der Firma angestellt, aufs Piepen zu achten.

Mag es der Automobilindustie so schlecht gehen wie möglich, niemals wird sie auf den Gedanken kommen, niemals wird irgendjemand in ihrem System auf den Gedanken kommen, man müsse den Kunden zufriedenstellen, weil man doch an ihm verdiene. Man wird ihm, wenn’s sein muß, ein Auto verkaufen, man wird es ihm aus rechtlichen Gründen überlassen, aber dann hat er, jedenfalls in Deutschland, glücklich und stolz zu sein. Sela.

  

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VON DER SPRACHE

  

Das Sprachdenken Martin Heideggers

   

In der „Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie“, die Jürgen Mittelstraß herausgibt, findet sich in dem Heidegger-Artikel von C.F. Gethmann kein Wort über die Spracharbeiten des Philosophen, obwohl die für sein spätes Denken zentrale Bedeutung haben. Heidegger hat die durchweg als Vorträge bzw. Gespräch konzipierten Texte in den fünfziger Jahren geschrieben und in dem Band „Unterwegs zur Sprache“ 1959 veröffentlicht, der dann als Band 12 der Gesamtausgabe der Schriften 1985 erneut erschienen ist.

Die folgende Skizze stützt sich auf die früheste Arbeit „Die Sprache“ von 1950 und auf die drei Vorträge von 1957/58 „Das Wesen der Sprache“.

In diesen Vorträgen der fünfziger Jahre sucht Heidegger Sprachdenken als Denken  in Sprache darzustellen. Es ist die Zeit, in der die kaum einbekannte Erschütterung eines Denkens, das der Suada des Nazitums anheimgefallen war, wie sie Kraus in der „Dritten Walpurgisnacht“ gezeigt und begriffen hatte, produktiv zu werden beginnt. Das geschieht im Rekurs auf die Sprache, die als Geschwätz des Totalitären und des Journalistischen ihre ärgste Deformation innerhalb der deutschen Geschichte erfahren hatte. Von der will Heidegger sich auch dadurch befreien, daß er das Kommune dieser Sprachgebräuche verläßt und sich einer von ihm angenommenen ‚Sprachunmittelbarkeit’ anzuvertrauen bemüht, die natürlich selbst einen historischen Sprach- und Sprecherstand repräsentiert, der vor allem in der deutschen Literatur, etwa bei George, zu bemerken ist und von außen her als Esoterik erscheint.

Dieser Sprachgestus, wie er vor allem im Felde der Nomina sich vermittelt, ist gehörig denunziert worden und wirkt unter dem Einfluß all jener ‚elaborierten Codes’, die heute nicht nur das wissenschaftliche, sondern auch das essayistische, ja sogar Teile des journalistischen  Sprechens beherrschen, auf fatale Weise komisch, zumal er als „Jargon der Eigentlichkeit“ von Adorno stigmatisiert worden ist, also als mißlingender Versuch, zu einem imaginären Ursprung der Sprache vorzudringen und damit gerade jener imperativen Attitude anheimzufallen, der er sich doch entziehen wollte.

So problematisch dieser Versuch war, so problematisch waren aber auch die Verdikte, die über ihn ausgesprochen wurden, da sie ja selbst nur allzu rasch dem Jargonhaften verfielen.

Das Verdienst Heideggers ist es, sich jenseits von fachbeschränkter Philologie und Linguistik dem grundsätzlichen Fragen nach der Sprache wieder zuzuwenden. Und seine leitende Methode war es, dies ‚von der Sprache selbst’ her zu tun, als deren Statthalter er die Dichtung behauptet, und zwar insbesondere die Lyrik. Damit gewinnt er eine Gegenposition zu der üblichen, die an der Alltagssprache sich orientiert, wobei sie deren Masse mit der Autorität der Sprache als konkret gesprochener gleichsetzt.

Heidegger scheint in dem Vortrag von 1950, den er so einfach wie imperial „Die Sprache“ genannt hat und der dem Gedächtnis des Literaturwissenschaftlers Max Kommerell gewidmet war, eines Georgianers und sehr an der Literatur als Sprache orientierten Denkers, gar nicht so fern von dieser Gleichsetzung von Sprache und Alltagssprache zu beginnen, wenn er sagt: „Die Lehre gilt, der Mensch sei im Unterschied zu Pflanze und Tier das sprachfähige Lebewesen“ (M.H., Unterwegs zur Sprache. In:M.H., Gesamtausgabe Bd.12. Frankfurt/M. 1985. S .9).Aber dieser Satz dient wohl mehr einer differentia specifica in einem historischen Augenblick, der als Beginn einer durchgehenden ‚Biologisierung’ aller Lebenssphären gelten kann, und zwar nicht nur als Konsequenz des Darwinismus, sondern auch (und natürlich ungewollt) eben jener Tendenzen, die als überwundene behauptet wurden.

Dem Menschen als einzig „sprachfähigem Lebewesen“ begegnet Sprache nach Heidegger aber gerade nicht als das übliche Kommunikationsvehikel, das er ‚beherrschen’ soll, sondern als etwas, dem kein Begriff gerecht wird und nur die „nichtssagende Tautologie“ genügt: „Die Sprache selbst ist die Sprache“, die in einer weiteren Tautologie lautet: „Die Sprache spricht“ (10). Damit soll der Meinung entgegengetreten werden, als verfüge der Mensch als „sprachfähiges Lebewesen“ über diese, vielmehr soll gelten, daß es bei der Sprache nicht um ein Moment der Existentialität und der Geschichtlichkeit des Menschen gehe, sondern um eine eigentümliche Größe, an der der Mensch nur teilhat. Die Sprache wird von Heidegger nicht bloß als das Differenzierende gesehen, sondern als ein Autochthones, das nicht aus der Evolution und der Geschichte des Menschen als homo sapiens abgeleitet werden könne. Hier findet ohne Zweifel, wenn auch nicht explizit, so etwas wie eine theologische Wende statt, denn was anderes als die johanneische Lehre von ‚Gott als dem Wort’, von der er selbst spricht (12), könnte Heideggers These sinnvoll machen. Heidegger spricht im Anschluß an Hamann vom „Abgrund“, den das „Wort“ „Vernunft ist Sprache“ auftue, und weiß sicher, daß in der Mystik „Abgrund“ häufig für „Gott“ steht. 

Für ausgemacht hinsichtlich der Sprache gelte: sie sei Ausdruck, Tätigkeit, Vorstellung und Darstellung. Aber diese Kennzeichen genügten nicht, „um das  Wesen der Sprache zu umgrenzen“(12). Heidegger beginnt sich mit dem „rein Gesprochenen“(14) , dem Gedicht zu befassen, und zwar mit Trakls „Ein Winterabend“. Er interpretiert und sieht sich bei diesem Text darin bestätigt, daß Sprache „weder Ausdruck, noch eine Betätigung des Menschen“ (16) allein ist, vielmehr wiederholt er, daß „die Sprache“ spreche. Die Sprache, nicht der Mensch, fragt er. Ohne dies zu bejahen, betont er doch, daß das „Winterabendzeit“  nennende (lyrische) Sprechen  nicht die „vorstellbaren, bekannten Gegenstände und Vorgänge ...mit den Wörtern einer Sprache“ „behänge“, jene vielmehr „ins Wort“ rufe, wobei das Rufen ein „Herrufen in eine Nähe“sei und gleichzeitig „das Gerufene“ nicht „der Ferne“ entreiße (18). In Worten wie dem „Unter-Schied“ und dem „Geläut der Stille“ sucht Heidegger  die Gleichzeitigkeit von Nähe und Ferne, die allein die Sprache evoziere, zu fassen. „Das Geläut der Stille ist nichts Menschliches. Wohl dagegen ist das Menschliche in seinem Wesen sprachlich.“ (27)

Wenn er auch an der Dichtung „das Wesen der Sprache“ festzumachen sucht, so gilt ihm doch, daß „eigentliche Dichtung...niemals nur eine höhere Weise (Melos) der Alltagssprache“ sei. „Vielmehr ist umgekehrt das alltägliche Reden ein vergessenes und darum vernutztes Gedicht...“(28). Hält Heidegger damit an der Einheit der Sprache fest, so betont er auch, daß „das menschliche Sprechen“ „als Sprechen der Sterblichen nicht in sich“ ruhe. „Das Sprechen der Sterblichen beruht im Verhältnis zum Sprechen der Sprache.“ (28) Ihr eigenes Sprechen wird als „Entsprechen“ verstanden. „Der Mensch spricht, insofern er der Sprache entspricht.“(30) Das  ist die bedenkliche, aber auch die bedenkenswerte hypertrophe Absolutsetzung der Sprache, die freilich das ‚Nicht-Entsprechen’ der Sprache unter das Verdikt des Geschwätzes stellt.

In den drei Vorträgen „Das Wesen der Sprache“von 1957/58 bestimmt Heidegger einmal  „Metasprache“ als Nicht-Entsprechung der Sprache. In ihr setze sich „die Metaphysik  der durchgängigen Technifizierung aller Sprachen zum allein funktionierenden interplanetarischen Informationsinstrument“ durch (150).Ihr steht wieder die Dichtung gegenüber, für die ihm Georges (auch) thematisches Sprachgedicht „Das Wort“ einsteht. Dem geht er auch in seinem zweiten Vortrag nach, indem er sich mit dem methodischen Denken der modernen Wissenschaft als durchaus Fraglichem befaßt. An die Stelle des Faktums tritt bei Heidegger die „Sage“. Die „Sage“ entspringt dem Sagen, das wiederum in dem Verhältnis von Sein und Sagen als logos  bestimmt wird. Die „Sage als Wesen der Sprache“ schwinge zurück „in das Wesen der Nähe“(202). Das ist die eine Seite. Aber „die Sprache ...als die Welt bewëgende Sage“ ist Heidegger auch „das Verhältnis aller Verhältnisse“ (203). Will sagen: die Sprache konstituiert den engsten Alltagsraum wie den kosmischen Allraum. Schließlich spricht Heidegger vom „Zerbrechen des Wortes“, das dann sich ergebe, wenn das einfachste und umfassendste Prädikat des „ist“ als Bestimmung des pur Faktischen herrschend werde.

Das Heideggersche Sprachdenken erscheint nicht als dogmatisches wichtig, wohl aber als Gegengewicht zu einem Sprachgebrauch, der wie in der Zeitung nur noch referentiell und instrumentell  das Faktische transportieren will. Darum wird von ihm „die Nachbarschaft“ betont, „in der Dichten und Denken wohnen“(174) und von einer Sprachverweigerung gesprochen, die in der Sprache erscheine, „in der wir über die Sprache Aussagen machen“(175). Diese Verweigerung gehöre „zum Wesen der Sprache“, womit alles gegenwärtige Sprechen außer dem der Dichtung, also auch das der etablierten Philosophie, als unsprachliches verworfen wird.

  

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Sprache und Mediensprache II

  

Da die Journalisten und die von ihnen veranstalteten Medien nicht wissen, daß sie sprechen, sondern meinen, sie transportierten Nachrichten und Meinungen mittels des Instruments Sprache, ist jedes Unternehmen, das diesem Unwissen begegnet, nicht ein erfolgsorientiertes, wohl aber ein notwendiges. Es hat zu dokumentieren, wo die in den Dienst genommene Sprache eben diesen Dienst aufkündigt und ihre Beherrscher abwirft.

Alle Medien - Presse, Rundfunk, Fernsehen - meinen, wenn dem, was sie veranstalten, eine ‘gute Schreibe’ und ‘gute Bilder’ zugrunde lägen, sei schon das Wichtigste geschehen. Sie nennen das ‘guten Journalismus’ und zeichnen sich gegenseitig dafür aus. Sie behaupten eine wesentliche Differenz zwischen Yellow Press oder Werbefernsehen und ernsthaftem Journalismus und sehen nicht, wollen nicht sehen, daß dieser die gleiche Struktur hat wie die finsteren Zeugnisse des Berufs. Dabei müssen sie natürlich zugeben, daß es nur jene armen, nie funktionierenden Regeln journalistischer Ethik gibt, die überhaupt Unterscheidungen zulassen. In Wahrheit sind sie nicht von ungefähr unter dem Namen des Journalismus miteinander verbunden, was nur dann eine schlimme Äquivokation wäre, wenn beide Gruppen so weit auseinander wären wie, sagen wir, Ärzte und Quacksalber, Juristen und Winkeladvokaten. 

Journalisten sind sie darum, weil sie alle, mit Karl Kraus zu sprechen, mit der Sprache nur so umgehen, sie also für einen Apparat halten, mit dem man geschickter oder weniger geschickt hantieren könne. Sie haben - und das noch auf eine ziemlich krude Weise - zur Sprache immer ein bloß rhetorisches, ein bloß stilistisches Verhältnis, aber keines, das sie die konstitutive Bedeutung der Sprache für die Verwirklichung jedes Gedankens, jeder Empfindung, jedes Geschehens begreifen ließe. Sie begnügen sich mit der alltagssprachlichen Verwendung von Sprache, einer sehr reduzierten, aber für den Alltagszweck hinreichenden, doch wird diese Verwendung auf ungleich umfassendere, bedeutendere und weitergehende Zusammenhänge bezogen, als Alltagszwecke sie herstellen. D.h. sie reden von und über Krieg und Frieden, Tod und Leben, Ungerechtigkeit und Gerechtigkeit so, wie man im Alltag über Essen und Trinken, Schlafen, Arbeiten, Kaufen redet, wobei sie behaupten würden, sie redeten aber ‘besser’ davon, also geschliffener und eleganter, was meint, daß sie die Alltagsrede  ornamentieren, so daß gar der Eindruck von Literatur entsteht. Aber sie hätten von ihren Gegenständen so zu reden, wie es dem in der Sprache verborgenen Denken und Geschehen entspräche. 

Es ist aber schon bemerkenswert, daß sie zwar flott, aber  grammatisch oft nicht richtig schreiben können. D.h. es fehlt ihnen bereits an der einfachsten Weise sprachlichen Denkens, nämlich der, sich angemessen auf die überlieferten Regeln der Sprache beziehen zu können. Schon hier sind sie willkürlich wie dann bei allen schwierigeren Sprachfragen. 

Am sprachlichen Denken hindert sie ihr Beruf, der in Schnelligkeit und Unkonzentriertheit gründet. Angefangen bei Druckfehlern, Fehlschreibungen, syntaktischen Patzern, immer bleibt es bei einem Verhältnis zur Sprache, das keinen Gedanken zuläßt, sondern Gedankenlosigkeit zur Voraussetzung hat, über alles reden zu können. Wo scheinbar Gedanken vorgetragen werden, z. B im Leitartikel, sind es niemals in Sprache fundierte, sondern Versammlungen von Gemeinplätzen, die man in diesen oder ähnlichen Zusammenhängen schon zu oft gelesen hat.

Außerdem wirkt bestimmend die Kommerzialität der Presse auf deren Sprache ein. Fakteninformation muß sich als gut verkäufliche Ware erweisen. Schließlich berührt auch ihre Periodizität die Sprache, insofern sie Fakten und Meinungen täglich oder wöchentlich vorzutragen haben,  ohne Rücksicht auf  eine Reflexion des Umfangs.Dem bleibt es auch überlassen, was erscheint und dadurch nicht erscheint.

Konventionalität journalistischen Sprechens, z.T. übersetzt in Bildsprache, ist die Voraussetzung für die neuen Medien, als deren populärstes natürlich weiterhin das Fernsehen gilt. Ihm gegenüber wird bereits von Seiten der Druckmedien ein journalistischer Anspruch geltend gemacht, will sagen, Pressejournalismus erscheint als eine Position, von der aus begriffen werden könne, was in den neuen Medien geschehe, bzw. von der aus das Problematische ins Richtige zu lenken sei. Aber die virtuellen Welten, die uns aufgebaut werden, sind durch die sprachlose, weil gedankenlose Tatsachenvorstellung des Presse-Journalismus erst möglich geworden. 

Die Felder für eine Sprachkritik der Medien sind  fast unübersehbar groß. Einige Beispiele sollen genannt werden. Die Frage danach, was in Wahrheit geleistet wird, wenn es um Information als Nachricht geht, ist eine der wichtigsten. Sie wird begleitet von der nach der wirklichen und der möglichen Leistung von Protokollsätzen für Informationen und von der anderen nach den Kriterien der Informationsauswahl durch und in den Medien. Was wissen wir, wenn wir das wissen, über das wir informiert werden? Auf der anderen Seite sind die aus der Rhetorik überlieferten Sprechweisen wie etwa Ironie oder Metaphorik sowohl in ihrem empirischen Gebrauch in den Medien wie in ihrem grundsätzlichen Anspruch innerhalb der Mediensprache zu prüfen. Welcher Sprachgebrauch dominiert in den wichtigeren Genera der Wortmedien, etwa Reportage und Bericht? Zu fragen ist, was Meinungstexte in den Medien wollen und was sie können. Konstituiert sich in Leitartikel, Kommentar, Glosse Meinung als in sich konsistente Argumentationskette? Wie steht es mit der Sachlichkeit der Ressorts? Bewahrt die ‘Vereinfachung zugunsten des Lesers’ die Informationen der Ressorts vor der Verfälschung ihrer Sachgehalte? Ist umgekehrt die komplizierte Darstellung notwendig oder nur jargonhaft? Welche Weltvorstellung erzeugt der Magazincharakter jeder Zeitung? Was bewirkt die Periodizität der Tageszeitung an Zerstreuung beim Rezipienten? Was bewirkt der aus der Kommerzialität der Medien sich ergebende Sensationismus für das Bewußtsein des Rezipienten?

Kann trotz zahlreich vorgebrachter Zweifel der letzten Jahre der Bildjournalismus so weitermachen wie bisher? Wie können Fotos, Videoaufnahmen und Filme eingesetzt werden, ohne von vornherein unter den Verdacht der Fälschung der dargestellten Situation zu geraten? Die Rede vom Infotainment, die sich besonders an Bildern festmacht, darf nicht als Beschreibung oder gar als Erklärung akzeptiert, sondern muß als problematische Kategorie gezeigt werden. Der sich allzu oft ergebende Zusammenhang zwischen Bild/Film und Verletzung der Menschenwürde ist zum ständigen Thema zu machen. Nicht erst Bildjournalismus und Bilddokumentation, aber sie in gravierender Weise sind auf ihre Übereinstimmung mit den Grundtexten unseres Zusammenlebens, etwa mit dem Grundgesetz und seinem Grundrechtekatalog zu überprüfen.  Die Pressefreiheit ist  im Kontext mit diesem Grundrechtekatalog zu betrachten, was keineswegs allein den Gerichten obliegt.

  

Ein Teil dieser Fragen scheint von der Sprachkritik wegzuführen. Aber das gilt nur dann, wenn der Sprachzusammenhang dieser Fragen nicht gesehen wird, was wieder nichts anderes bedeutet, als Sprache aufs Vehikuläre zu beschränken. Unsere eigenen historischen Erfahrungen müßten uns vor einer solchen Auffassung bewahren. Weder die großen Kriege noch der Nazismus sind Vorgänge, die allein unter die Zuständigkeit der Historiker fallen. Vieles spricht vielmehr dafür, daß deren Verständnis von historischem Ereignis, historischem Prozeß und historischer Struktur wichtige, ja zentrale Komplexe ausschließt. Schon die Lektüre einer historischen Quelle folgt expliziten oder impliziten Leitsätzen, die blind machen können demgegenüber, was sprachkritisch gerade interessant und beunruhigend sein könnte. Die Zeitungen vor dem und im Ersten Weltkrieg und die Zeitungen im Nazismus mögen ideologisch noch so verschieden gewesen sein, die sprachkritische Sicht könnte die Analogien und Verwandtschaften beider ‘Systeme’ aufdecken und unter anderem verstehbarer machen, wie liberale zu nazistischen und wieder zu liberalen, wie schließlich ‚volksdemokratische’ zu demokratischen Journalisten ohne jede Schwierigkeit werden konnten, obwohl dies ideologisch doch ganz unverständlich bleibt. 

Das Medienzeitalter ist auch eines, das in zunehmendem Maße indolent macht gegenüber seinen Wirkungen. Manche seiner Repräsentanten neigen dazu, es als einen großen Jux auszugeben, den sie sich und denen, von denen sie leben, machen. Aber er ist längst zumindest ein blutiger Jux geworden, den die zu bezahlen haben, die statt auf Aufklärung nur auf ein bißchen Unterhaltung gesetzt haben. 

Man kann nicht um Zustimmung bei denen werben, auf die man zielt. Überdies ist die Empfindlichkeit von Journalisten, sobald sie selbst zum Gegenstand von Fragen werden, allzu bekannt. Diejenigen aber, die nicht aufs Totschweigen als die übliche journalistische Machtausübung aus sind, sind immerhin so weit, daß sie besinnungslose Abwehr nicht schon für eine angemessene Reaktion halten.

  

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Öffentliche Rede: Sprachdenken – politische Rede – Mediensprache

[Beitrag für die Jahrestagung  des P.E.N.-Zentrums Deutschland am 20.5.2005 innerhalb der Veranstaltung „Kritik der öffentlichen Rede“]

  

In der Kürze der Zeit, die zur Verfügung steht, lassen sich nur einige thesenartige Sätze zu den drei genannten und aufeinander zu beziehenden Kategorien formulieren.

  

1.Öffentliche Rede ist eine Art der Rede als aktualisierter Sprache.Bedeutet Rede als aktualisierte Sprache nicht mehr als den Transport von Faktischem, zu dem auch Gedanken gerechnet werden mögen, so wird man einzig nach dem Gelingen dieses Transports fragen.

Obwohl wir vom linguistic turn  als der Konzentration auf die sprachlichen Vorgänge, wie sie sich seit ca 100 Jahren ausgebildet hat, sprechen, ist die Dominanz des positivistischen Denkens  in nahezu allen wissenschaftlichen Disziplinen seit ca 200 Jahren zu konstatieren.Ihm ist es um die Frage des Tatsächlichen  zu tun. 

Doch geht es um grundsätzlich anderes, wie es das Denken von Hamann, Herder und Humboldt insbesondere und nach ihnen das Denken zahlreicher anderer bis tief ins 20. Jahrhundert hinein vorgestellt hat. Es geht nämlich darum, daß wir als Menschen sprachlich existieren oder gar nicht existieren. Humboldt bemerkt: „Der Mensch lebt mit den Gegenständen hauptsächlich, ja, da Empfinden und Handeln in ihm von seinen Vorstellungen abhängen, sogar ausschließlich so, wie die Sprache sie ihm zuführt. Durch denselben Act, vermöge dessen er die Sprache aus sich herausspinnt, spinnt er sich in dieselbe ein...“. Erst dadurch wird begreifbar, daß wir uns immer schon sprachlich vorfinden. Nicht nur, wenn wir etwas sagen oder schreiben, sondern auch, wenn  wir fühlen, denken, handeln, bewegen wir uns in der Sprache. Es ist sehr zu fragen, ob es überhaupt eine Sphäre gibt, die nicht sprachlich vermittelt ist, zumal eben auch Bild und Musik Sprache sind, d.h. Semantik, Grammatik, Syntax haben und verstanden werden wollen. Vielleicht ist nur der Gewaltakt als solcher, nicht seine Vorbereitung, jenseits der Sprache. Es würde erklären, warum eine Epoche, die den Sprachsinn auf Faktentransport und Kommunikationsmittel reduziert, mehr und mehr individuell und kollektiv gewalttätig wird.

Frühere Jahrhunderte haben  Sprache und Rede eingebunden in das sie leitende Konzept, von denen ich als wichtigste Mythos, Religion und (philosophische) Vernunft nenne. Mit dem Zusammenbruch des letzten universalen Konzepts, eben des der Vernunft, emanzipiert sich Sprache von  solchen Konzepten und tritt als sie selbst hervor und gleichzeitig in Gegensatz zu dem antagonistischen Konzept oder Prinzip des Tatsächlichen, das der Sprache nur noch eine Sekundärfunktion einräumen will, obwohl es natürlich ohne sie gar nicht erscheinen könnte. Es erweist sich darum bei näherem Zusehen auch als ein (allerdings sehr reduziertes) sprachliches Konzept. Dies erfahren wir in besonderer Deutlichkeit in den Medien, wovon noch zu sprechen sein wird. 

  

2. In der Antike, der griechischen wie der römischen, wird die politische Rede von der Rhetorik strukturiert. In ihr findet durch die Jahrhunderte eine Auseinandersetzung zwischen Wahrheit und Wirkung statt. Überredung und Redeschmuck drohen immer wieder die Wahrheit der Rede zu beeinträchtigen. Sokrates setzt auf Wahrheit und Überzeugung. Plato gar bekämpft die Rhetorik nachdrücklich. Beide entscheiden sich für die dialektische Philosophie statt der Rhetorik. Aristoteles aber systematisiert als erster die Rhetorik, sieht die politische Rede als eine ihrer drei Gattungen, die er mit der Zeitstufe der Zukunft verbindet. Er erkennt in der rhetorisch ausgebildeten politischen Rede (wie in Gerichts- und Gelegenheitsrede) die Möglichkeit des genauen Argumentierens wie des Stils und der Gliederung. In zahlreichen Lehrbüchern wird der Kontrast von Wahrheit und Wirkung immer wieder ausgetragen. Die großen Redner wie Lysias, Thrasymachos, Demosthenes , die römischen wie der ältere Cato und vor allem Cicero liefern die Beispiele.

                   

Die christliche Predigt als Homilie übernimmt die Technik der Rhetorik. Schon um 400 n.Chr. hat die Rhetorik ihren Platz innerhalb des Triviums der  sieben freien Künste gefunden. Als eine von ihnen wird sie im Mittelalter traktiert.

Luther aber sucht die Predigt aus der rhetorischen Verfestigung zu lösen. Die protestantische Predigt setzt sowohl auf den Wahrheitsanspruch des Evangeliums wie auf die Glaubwürdigkeit des Predigers. Dieses Spannungsverhältnis zwischen dogmatischer Wahrheit und individueller Glaubwürdigkeit kennzeichnet auch das Problem der säkularen öffentlichen Rede der Neuzeit. Natürlich nicht, insofern hier noch  von einer dogmatischen Wahrheit zu sprechen wäre, wohl aber insofern Vernunftwahrheit postuliert wird, die der Redner glaubwürdig vermitteln soll. Dies ist die Situation der Französischen Revolution. In Büchners „Danton“ halten die Hauptfiguren  unentwegt politische Reden, die ja zum Teil wörtlich aus dem Nationalkonvent stammen. So etwa: „Der Atemzug eines Aristokraten ist das Röcheln der Freiheit. Nur ein Feigling stirbt für die Republik, ein Jakobiner tötet für sie“(I). Solche Postulate bringt Robespierre auf die Formel: „Die Waffe der Republik ist der Schrecken, die Kraft der Republik ist die Tugend“(I). Wir merken, worauf es hinausläuft und was im Drama einzig Danton begreift: Vernunftwahrheit und Glaubwürdigkeit werden von den großen Worten aufgefressen, die zu Phrasen werden  und Gewalttätigkeit legitimieren wollen. Mercier, ein Freund Dantons, sagt: „Geht einmal euren Phrasen nach bis zu dem Punkt, wo sie verkörpert werden.- Blickt um euch, das alles habt ihr gesprochen; es ist eine mimische Übersetzung eurer Worte. Diese Elenden, ihre Henker und die Guillotine sind eure lebendig gewordnen Reden.“(III).Damit ist bereits die literarische Voraus-Darstellung dessen geleistet, wie politische Rede, die aus der Erinnerung an die antike Rede und aus der sich im 19. Jahrhundert formenden Parlamentsrede hervorgeht, sich strukturiert: nämlich als  oratorische Geste, hinter der sich die Fakten des politischen Tagesgeschäfts verbergen oder, schlimmer, die die Gewalttat zwischen Attentat und Krieg schönrednerisch zu begründen sucht. Das geschieht in Deutschland zunächst ungleich moderater als in jener Drastik der Revolutionsreden. Aber es schlägt interessanterweise um in den zahlreichen Reden eines doch konstitutionellen Monarchen, nämlich Wilhelms II. Von den häufigen Drohgesten seiner Reden ist ein Satz besonders bekannt geworden, der bei der Verabschiedung deutscher Truppen nach China im Jahr 1900 gesprochen wurde: „Führt eure Waffen so, daß auf tausend Jahre hinaus kein Chinese mehr es wagt, einen Deutschen scheel anzusehen .“ Damit beginnt, zumindest in Deutschland, das Zeitalter der Volksreden, in denen die politische Rede mehr und mehr sich der Gewaltdrohung nähert. Sie kommt zu Anfang des Ersten Weltkrieges  auf einen frühen Gipfel. Von diesen Reden, in denen sich politische Rede und Leitartikel vermengen, hat Hitler gelernt. Er wiederum ist vielleicht der erste Politiker gewesen, dessen politisches Tun sich wesentlich in seinen Reden zeigt, von denen allerdings gilt: „Hitlers Reden sind wahrhaft Redehandlungen gewesen. Sie sagten nichts, aber sie schlugen zu.“

Nach dem Zweiten Weltkrieg und zumal in Deutschland hat es zunächst eine völlige Abwendung von dieser gewaltgenerierenden politischen Rede gegeben. Sie wird abgelöst von einer Relation, die schon im Ersten Weltkrieg und in der Nazizeit vorgeformt wurde: nämlich durch ein neues, mehr und mehr intensives Verhältnis der politischen Rede zur Medienrede.

Ganz deutlich wird das in der Rundfunkübertragungstechnik, die schon für die Reden Hitlers genutzt wurde, so daß nun galt: „In früheren Zeiten hieß es: X spricht zum Thema Y. Das Zeitalter der Kommunikation kündigt sich in der absoluten Formel an: ‚Der Führer spricht’“. Damit zeigt sich schon, daß die Übertragungstechnik keinesfalls als bloße Technik wirksam wird, sondern daß sich v.a. in der Weiterführung durch das Fernsehen eine Perspektive  eröffnet, in der der Sprecher und dessen Redeweise sich stärker  auswirken als die Semantik seiner Mitteilung. 

Doch gut zwanzig Jahre nach dem Krieg wird auch die poltische Drohrede in Deutschland wieder aktuell: nämlich durch die Achtundsechziger , und sogar deren Umschlag in die Gewalt v.a. durch die RAF. Doch ist beides nach dem Zeugnis von Mitgliedern nun engstens verknüpft mit der Medienrede. So heißt es schon 1974 in einem Feature, für das der jetzige Spiegel-Herausgeber Stefan Aust verantwortlich war u.a.: Aust fragte: „Welche Rolle spielte das Fernsehen? Erläuterte es die politischen Anliegen der Studenten – oder benutzte es deren Aktionen zur Unterhaltung des Publikums?“ Wolfgang Lefèvre darauf: „...die zweite Erfahrung [war], daß wir in gewisser Weise auf diese Medien   a n g e w i e s e n   sind...“ „Und die Gefahr lag natürlich nahe –...die Provokation   t e c h n i s c h   zu eskalieren. Um   b i l d l i c h   zu bleiben: von den Eiern zu Steinen überzugehen.“ Aufs kürzeste wird hier die Funktion der Medien innerhalb einer als politisch verstandenen Aktion erläutert. Die Mediensprache, denn es geht natürlich um eine Weise des Sprechens, dominiert die politische Rede, ja selbst die Aktion. Sie sollte die Gewalttat unterhaltsam machen.

  

3. Das Sprechen der Medien als Nachrichten- und Meinungsmedien zeigt sich zunächst im Kontext von Pressefreiheit und damit von Aufklärung , der Sphäre, in der sich Vernunftphilosophie und Positivismus begegnen. Pressefreiheit ist zuerst nichts anderes als die Freiheit der Druckerpresse, die im Zusammenhang der Aufklärung funktionieren soll, und zwar derart, daß sich der individuelle Autor auf diese Weise gegenüber den Mächtigen und ihren Institutionen behaupten, ja möglicherweise durchsetzen kann. Steht also bei der Pressefreiheit zunächst der individuelle Autor als Buchautor im Zentrum, so verschiebt sich mit dem Aufkommen von periodischen Nachrichten- und Meinungsmedien die Bedeutung von Pressefreiheit auf jene, bedeutet also nun nicht so sehr die Freiheit der Verbreitung von Schriften individueller Autoren, sondern  die der Verbreitung von Medien.

Die  binden sich als Nachrichtenmedien schon gegen Ende des 18. und zunehmend im 19. Jahrhundert ganz an die Auffassung vom Faktischen, wie schon gesagt wurde. Das hat unmittelbaren Einfluß auf das Sprechen der Medien, insofern sie damit Sprache als Instrument zur Verbreitung von Nachrichten als dem Erscheinen von  (in irgendwelchen Zusammenhängen als relevant behaupteten) Tatsachen verstehen. Da das Medium der sich herausbildenden Tages- und Wochenzeitungen aber nicht allein Nachrichtenmedium, sondern auch Meinungsmedium sein will,  soll die als Instrument verstandene Sprache nicht nur das Tatsächliche transportieren, sondern auch dessen Gegenteil, nämlich das Subjektive. Damit verbindet sich mit der Vorstellung der modernen Presse nicht allein die Vorstellung einer Instrumentalisierung der Sprache schlechthin , obwohl diese doch gerade in die Phase ihrer autonomen Universalität eingetreten ist, vielmehr soll sich diese Instrumentalisierung sowohl mit dem Tatsachenbegriff des Positivismus wie mit dem Subjektbegriff des Idealismus verbinden, ein Zusammenhang sehr prekärer Art.

Beides zusammen können die Medien nämlich in Wahrheit nicht haben. Vor allem  können sie nicht, indem sie sprechen und eben nichts anderes tun können als sprechen, beides als bloßen Transport von Nachricht oder Meinung ausgeben. Die Mitteilung der Nachricht wie die Mitteilung der Meinung sind als solche immer schon die Sache selbst, weil diese ja nur als Sprache dem menschlichen Bewußtsein vorhanden ist.

[Das Folgende ist eine gekürzte Fassung des oben abgedruckten zweiten Teils von „Fragen der Mediensprache“]

Alle Medien - Presse, Rundfunk, Fernsehen, Internet - meinen jedoch , wenn dem, was sie veranstalten, eine ‘gute Schreibe’ und ‘gute Bilder’ zugrunde lägen, sei schon das sprachlich Wichtigste geschehen. Sie nennen das ‘guten Journalismus’ und zeichnen sich gegenseitig dafür aus. Auch behaupten sie eine wesentliche Differenz zwischen Yellow Press oder Werbefernsehen und ernsthaftem Journalismus und sehen nicht, wollen nicht sehen, daß dieser die gleiche sprachliche Struktur hat wie die finsteren Zeugnisse des Berufs. Dabei müssen sie natürlich zugeben, daß es nur jene armen, nie funktionierenden Regeln journalistischer Ethik gibt, die überhaupt Unterscheidungen zulassen. In Wahrheit sind alle Mediengenera nicht von ungefähr unter dem Namen des Journalismus miteinander verbunden, was nur dann eine schlimme Äquivokation wäre, wenn beide Gruppen so weit auseinander wären wie, sagen wir, Ärzte und Quacksalber, Juristen und Winkeladvokaten. 

Journalisten sind sie alle darum, weil sie alle, mit Karl Kraus zu sprechen, mit der Sprache nur so umgehen, sie also für einen Apparat halten, mit dem man geschickter oder weniger geschickt hantieren kann. Sie haben - und das noch auf eine ziemlich krude Weise - zur Sprache immer ein bloß rhetorisches, ein bloß stilistisches Verhältnis, aber keines, das sie die konstitutive Bedeutung der Sprache für die Verwirklichung jedes Gedankens, jeder Empfindung, jedes Geschehens begreifen ließe. Sie begnügen sich mit der alltagssprachlichen Verwendung von Sprache, einer sehr reduzierten, aber für den Alltagszweck hinreichenden, doch wird diese Verwendung ja in den Medien auf ungleich umfassendere, bedeutendere und weitergehende Zusammenhänge bezogen, als Alltagszwecke sie herstellen. D.h. die Journalisten reden von und über Krieg und Frieden, Tod und Leben, Ungerechtigkeit und Gerechtigkeit so, wie man im Alltag über Essen und Trinken, Schlafen, Arbeiten, Kaufen redet, wobei sie behaupten würden, sie redeten aber ‘besser’ davon, also geschliffener und eleganter, was meint, daß sie die Alltagsrede ornamentieren, so daß gar der Eindruck von Literatur entsteht. Aber sie hätten so zu reden, wie es dem in der Sprache verborgenen Denken und Geschehen entspräche. Am sprachlichen Denken hindert sie ihr Beruf, der in Schnelligkeit und Unkonzentriertheit gründet. Angefangen bei Druckfehlern, Fehlschreibungen, syntaktischen Patzern, immer bleibt es bei einem Verhältnis zur Sprache, das keinen Gedanken zuläßt, sondern Gedankenlosigkeit zur Voraussetzung hat, um über alles reden zu können. Wo scheinbar Gedanken vorgetragen werden, z. B im Leitartikel, sind es niemals in Sprache fundierte, sondern Versammlungen von Gemeinplätzen, die man in diesen oder ähnlichen Zusammenhängen schon zu oft gelesen hat.

Außerdem wirkt bestimmend die Kommerzialität der Presse auf deren Sprache ein. Fakteninformation muß sich nur als gut verkäufliche Ware erweisen, also z.B. sensationierend sein. Schließlich berührt auch ihre Periodizität die Sprache, insofern die Medien Fakten und Meinungen täglich oder wöchentlich vorzutragen haben. So bleibt es dem Zeitungsumfang  überlassen, was erscheint und dadurch nicht erscheint.

Die Konventionalität journalistischen Sprechens, z.T. übersetzt in Bildsprache, ist die Voraussetzung für die neuen Medien, als deren populärstes natürlich weiterhin das Fernsehen gilt. Ihm gegenüber wird bereits von Seiten der Druckmedien ein kritischer Anspruch geltend gemacht, will sagen: Pressejournalismus erscheint als eine Position, von der aus begriffen werden könnte, was in den neuen Medien geschehe, bzw. von der aus das Problematische ins Richtige zu lenken sei. Aber die virtuellen Welten, die uns aufgebaut werden, sind durch die sprachlose, weil gedankenlose Tatsachenvorstellung des Pressejournalismus erst möglich geworden. 

Wegen des Mangels an Sprachreflexion machen die Medien in zunehmendem Maße indolent gegenüber ihren Wirkungen. Leser, Hörer, Zuschauer kennen kaum noch anderes öffentlich Gesprochenes. Manche Repräsentanten des öffentlichen Geschehens  neigen dazu, die Medienrede nur als einen großen Jux auszugeben, den sich ihre Angestellten selbst machen und denen, von denen sie leben. Aber es ist längst  ein blutiger Jux geworden, den gerade die zu bezahlen haben, die statt auf Aufklärung nur auf ein bißchen Unterhaltung gesetzt haben. 

  

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VOM JOURNALISMUS

  

Phänomenologie des heutigen Journalismus I

Der Fall Umbach

  

Während sich eine Anzahl von Spiegel-Schreibern mehr und mehr von der alten Spiegel-Masche entfernt, scheint sie in dem Musik-Redakteur Klaus Umbach einen ihrer heftigsten Verteidiger zu haben. Vielleicht kann man an seiner Schreibart beobachten , wohin ein massiver ironice-Stil wie der seine im Journalismus führt.

Umbach will z.B., wie es scheint, das Verhältnis von Opern, vor allem das von Wagner-Opern, zu Regisseuren zum Thema machen, die als Filmregisseure zum Musiktheater kein oder doch kein intensives Verhältnis haben, da sie z.B. Partituren nicht lesen können.

Das ist nun sicher ein wichtiges Thema, Teilthema der heutigen Theaterregie, die keinen Dilettantismus mehr ausschließt, wenn er nur für Auffälligkeiten sorgt.

Es geht in Nummer 11/2005 des „Spiegel“zentral um Wagners „Parsifal“, und zwar um eine Inszenierung durch Bernd Eichinger, der vor allem als Filmproduzent hervorgetreten ist. Sobald über die Bühnendarstellung Wagners, insbesondere seines „Bühnenweihfestspiels“ verhandelt wird, ist natürlich die Frage nach der Person Wagners im Spiel. Er ist als Antisemit, als germanischer Mythologe, als in die Operngeschichte entschieden Eingreifender eine nach wie vor problematische Gestalt, die aber inmitten der zeitgeistigen Beliebigkeit und im musikgeschichtlichen Kontext gleichzeitig als zu rühmender Beginn der Moderne („Tristan“) verstanden wird. 

Wenn nun an einem solchen Komponisten, aber auch an anderen (Mozart, Verdi), sich Filmregisseure versuchen,  muß der Musikkritiker entweder so protokollarisch wie möglich das Verhältnis des Konzepts des Komponisten zu den Konzepten von Filmregisseuren aufzeigen, oder er muß von seiner affirmierenden oder kritischen Position Wagner gegenüber ausgehen und auf dieser Grundlage deutlich machen, warum eine solche Regie nicht oder sehr wohl zu einem Ergebnis kommen kann und wieweit sie dazu gekommen ist.

Umbach nimmt sich zunächst Wagner vor. Schon im ersten Satz ist vom Speer  die Rede, der „nicht irgendein Requisit  aus Wagners Waffenkammer“ sei. Gleich darauf heißt es, er gehöre zu den „Leit- und Leidmotiven in Wagners  letztem, langatmigem  und andachtstrunkenem Singspiel“. In diesem Ton, den wir aus unzähligen journalistischen Feuilletonbeiträgen kennen, geht es weiter. Die „Waffenkammer“ könnte ein Hinweis auf die gewaltorientierte Mythologie Wagners sein, aber schon das „Leit- und Leidmotiv“ ist darum ziemlich selbstzweckhaft, weil der „Speer“ natürlich gerade nicht ein für die Wagnerpartituren feststehender Begriff sein kann, insofern er sich überhaupt nicht musikalisch darstellt, sondern eben der Sphäre der Bühnenanschauung zugehört. So könnte allenfalls metaphorisch von dem „Speer“ als Leitmotiv gesprochen werden, was aber durch das Wortspiel vom „Leit-“ als „Leidmotiv“ gestört wird, weil der Weg zum„Leidmotiv“ nur von  einem unmetaphorisch gebrauchten „Leitmotiv“ ausgehen könnte.In diesem Kontext aber gleitet die Ironie in den Kalauer ab. Und vor allem folgt nach der Rede vom wagnerspezifischen „Leitmotiv“ die Bemerkung vom „andachtstrunkenen Singspiel“. „Singspiel“ konnotiert  ganz nachdrücklich mit einer Gattungsbezeichnung, die wie etwa Mozarts „Entführung“  durch eine Zusammenführung von gesprochenem Text und Gesangeinlagen gekennzeichnet ist, also dem krassen Gegenteil von Wagners durchkomponiertem „Musikdrama“, so daß „Singspiel“, selbst  unter metaphorischem Gesichtspunkt,nur die Ridiculisierung des Wagnerschen Anspruchs auf Musikdrama bedeuten kann. Dadurch wird das ganze Vorausgehende zu einer journalistischen Fingerübung, durch die selbst die möglichen Bedeutungen en détail zerstört werden.

Nun geht Umbach über zu einzelnen Regieproblemen und damit zu Eichinger, dem „Allmächtige[n] des deutschen Lichtspielgeschäfts“, der „dem Kino  mit demselben schwindelerregenden Fanatismus wie seinem Ego“ huldige. Mit solchen Dicta wird Eichinger in einer Ablage deponiert, die nicht nur fern von jeder Art von Opernregie ist, sondern auch den  Bereich ‚Film’ in der Verbindung von Großproduzent, Kinofanatismus und Egomanie sehr zweifelhaft macht.

Darauf wendet sich Umbach „jene[r] Glitzerklientel“ zu, die  zwar wenig für Wagner übrig  („Bayreuther Ballaststoffe“), aber „ihren Spaß an großer Oper“ habe und daran, „prominente Fremdgänger Regie“ führen zu sehen, die ihrerseits allerdings wieder „im Speerbezirk der Hochkultur  stümpern und straucheln“.

Als deren Beispiel wird die „sonst nicht unbegabte Filmregisseurin Doris Dörrie“ genannt.

Schließlich werden Eichingers Schwierigkeiten mit dem technischen Apparat demonstriert und seine Regiegedanken zitiert: „Ich inszeniere das Stück als riesiges Melodram mit vielen Schicksalen“. 

Was will uns Umbach also mit seinem Text sagen? Es könnte ein satirischer Text sein, der am falschen Ort der Opernkritik erscheint. Denn es scheint ja herauszukommen : Wagner ist Chuzpe, Eichinger (und seine Kumpane) sind Chuzpe, das Publikum ist Chuzpe, alles ist Chuzpe, also eine Universalsatire über das heutige Musiktheater mit besonderer Berücksichtigung des Wagnertheaters.

Aber man liest auch ganz anderes. Der „Speer“ ist „eine kostbare Reliquie“. Eichinger ist „ein ausgebuffter Profi“. Das Publikum ist „Zeuge“ des regielichen Strauchelns. Schlingensief hat ein „spektakuläres Bayreuth-Abenteuer“. Und Eichinger wieder „glückt“ „vielleicht“ „dann auch der große Wurf“. 

Kurz: dies alles ist nicht satirisch, nicht einmal ironisch, wohl aber auf eine Art anerkennend, die aus sehr verschiedenen, unvereinbar verschiedenen Richtungen kommt. „Eine kostbare Reliquie“ ist das von keinerlei Ironismen tangierte traditionell affirmierende Sprechen. Der „ausgebuffte Profi“ ist die Anerkennung durch die Gang. Die Feststellung, „Zeuge“ zu sein, ist sachlich protokollierend. Das „spektakuläre Bayreuth-Abenteuer“ ist die Bestätigung des Sensationellen. Und daß Eichinger, ganz am Schluß, „der große Wurf“ gewünscht wird, ist die abschließende Geste des Spießgesellen. 

Das erste Lesen fördert die alte Spiegel-Suada zutage. Dann scheint es gar um universelle Satire in übersehbaren Zusammenhängen zu gehen. Aber  die wiederum wird zugunsten von Kußhändchen und Anfeuerungen durch den Kumpan verraten, der sich zunächst eine Gaudi macht und dann jedem der Beteiligten mitteilt, daß er ihn natürlich schätze. 

Diese Mixtur aus sich selbstbedienendem fun  auf Kosten aller und der Mitteilung , allen gut zu sein, ist eine der Ingredienzen heutigen journalistischen Schreibens. Aber er ist völlig sinnlos,da die Informationsfunktion des Journalismus und die immer wieder selbstzweckhaften ironischen Wendungen beziehungslos zueinander bleiben. Die Ansätze zur Information werden durch die Ironie nicht zur Satire verwandelt, während die Ironie Überlegenheitsgeste bleibt, die nur rhetorisch, aber nie semantisch eingelöst wird. Wir erleben zum –zigsten Mal die Attituden eines Wichtigtuers.

  

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VON DEN KIRCHEN

  

An einen kirchlichen Rundfunkbeauftragten

  

Am Sonntagmorgen finden unter Ihrer Verantwortung Veranstaltungen wie diese statt: Eine Frau H., die, wie sie mitteilt, sich den Fünfzigern nähere und also die berühmten Fältchen bemerke, läßt sich über das Glück des Alters aus. Dabei spricht sie jedoch von Ohnmacht und Beziehungslosigkeit im Alter, bringt das Beispiel ihrer Mutter. Sie hat natürlich recht. Sie geht aber noch weiter und zitiert an einer Stelle eines der Kreuzworte Jesu: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“

Das hat übrigens ein Dreißigjähriger gesprochen und damit kommt man auf keinen Fall zum Altersglück.  Aber nun geschieht das Wunder.  Als sei es das Selbstverständlichste von der Welt, spricht Frau H. – und immer mit sanftruhiger Stimme – von der Grazie, mit der Ohnmacht und Beziehungslosigkeit zu bewältigen seien und daß sie sich schon darauf freue. So über viele Minuten hin und in allerlei Modulationen.

Man kann eigentlich vor solchem existentiellen Schwindel nur davonlaufen. Es ist, als würden Kierkegaard und der „Korsar“, sein journalistischer Antipode, vereinigt. Es ist, wird uns mitgeteilt, mit dem Leben abgrundschrecklich, aber sehr, sehr hübsch.

Im Fernsehen trat vor kurzem ein Kabarettist auf. Keiner der ganz Treffsicheren, ein etwas aufgeschwemmter Mann, der vor allem schimpft. Das war nicht fein und nicht immer richtig.Aber mit dem meisten zeigte er die landläufige Suada vor, mit der wir eingenebelt werden.Ist das nun auch die Aufgabe der Theologie? Jedenfalls gehörte das, was Frau H. uns unter Ihrer Verantwortung zusäuselte, zum Scheußlichsten dessen, was uns öffentlich-rechtlich zugemutet wird.

  

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VOM (EINSTIGEN) LEBEN

  

1952

  

Gespräch mit Frau M. von der Stadtbücherei. Sie sagt: „Ich sehe dem  Vergehen mit Ruhe zu.“  Sie sprach davon, wie viel ihr Benn bedeute, aber fragte auch danach, ob er ihr wirklich notwendig gewesen sei oder nur angenehm bestätigend. Lektüre des Schlußworts aus Benns „Doppelleben“.

Beginn der schriftlichen Arbeiten für das Abitur. Ausschnitt aus Hesses „Morgenlandfahrt“ im Rundfunk: verkrampft, bewußt unbewußt, nicht verwunderlich, daß H. Erfolg habe. Benns frühe Prosa: er fülle das Wort aus. 

  

Von vielen Seiten beunruhigender Nachrichten-Rummel zur Remilitarisierung; 

Wehrdebatte im Bundestag. Neben vielem Geschwätz seien die kurzen Ausführungen von Helene Wessel hervorzuheben [Vorsitzende der Zentrums-Partei]. Die Haltung der SPD sei opportunistisch, aber sie sei die einzige, die uns (vielleicht)  vor sofortiger Aufrüstung schütze. Dr. Heinemann und Frau Wessel seien hier für die „Notgemeinschaft für den Frieden Europas“als Redner aufgetreten.

W.H. berichtet aus Freiburg von Studentendemonstrationen gegen einen Harlan-Film, die Polizei sei brutal gegen die Studenten vorgegangen, H. schreibt von Niedergeknüppelten, die  mit Verletzungen und Brüchen im Krankenhaus lägen; davon lese man in den hiesigen Zeitungen nichts.

  

Tod des englischen Königs. Anteilnahme der Engländer, Kontinuität der staatlichen Entwicklung. Die neue Königin Elisabeth werde alle Sympathien finden. 

  

Grabbes Lustspiel „Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung“ in einer Bochumer Aufführung. Es wirke kein bißchen verstaubt. Das  Schlechte bleibe sich immer gleich, das Gute müsse stets neu konstruiert werden. Der Spießer habe sich für die Menschheit unentbehrlich gemacht, er repräsentiere sie vielleicht längst, wir hätten es nur noch nicht gemerkt. 

  

Warten auf den endgültigen Schulabschluß. Was danach komme, sei sicher nicht das bessere und freiere Leben, aber wohl die freiere Atmosphäre.

  

Beschäftigung mit Kafkas „Schloß“. Satz für Satz betrachtet, handle es sich um einfache Dinge und Begebenheiten, die bewußt naiv erzählt würden. Aber schon an zwei Sätzen werde das Undeutliche einer anderen Welt deutlich. Form und Gehalt seien gleich ungewöhnlich. Beängstigende Monotonie der bewußt einfachen Sprache. K. begnüge sich mit immer Kleinerem. Zum Verständnis habe Benses Abhandlung „Literaturmetaphysik“ geholfen: der spreche von existentieller Prosa, die nicht „Zeichen für etwas“, sondern „Chiffre von etwas“ sei.

  

Über ein Erdbeben in Süddeutschland. Aber für uns, jetzt und hier, sei ein Schnitt in den Finger wichtiger. Was seien denn alle kosmischen Erschütterungen, wenn wir jetzt und hier verschont blieben. Das Ungeheuerliche schrumpfe immer wieder zur Zeitungsnotiz, das allgemein absolut Belanglose bedeute uns Schicksal.

  

Bachs a-moll- und Mozarts A-dur-Konzert mit Tibor Varga diamanthart gebracht. Franz-Peter Goebels habe über „Dualismus in der neuen Musik“ gesprochen.

Barlach-Ausstellung mit ungeheuren  Blättern und ganz erfüllter Plastik.

  

Mitte März wird die Akte des Schülers A. als geschlossen gemeldet; sie sei schon leicht vergilbt gewesen und habe kurioses Zeug geborgen. Abschiedsabend im Clubhaus R. Alles sei weit entfernt von Phrasen und dem üblichen Getue verlaufen. Mit Dr. W. noch ein sehr ehrliches Gespräch. Meine Ansprache habe die meisten in irgendeiner  Weise getroffen.

  

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[Auszüge aus dieser Ansprache. Veröffentlicht unter dem Titel „Abschied ohne Illusionen“ in „Junges Wort. Zeitung aus den höheren Schulen in Rheinland  und Westfalen“. 2 Jg, Nr 5[1952], S.1]

  

Eine Klasse geht auseinander. Eine Klasse verabschiedet sich von ihren Lehrern. Nichts Außergewöhnliches, kaum Ereignis. Randnotiz lokalen Geschehens. So ist es Jahr um Jahr. Verändert haben sich die Anzüge und ein paar Anschauungen, verändert vielleicht auch die Verhältnisse der Generation zueinander. Aber im Ganzen? Ist's wert, den Worten des Dankes und Gedenkens, so notwendig oder überflüssig sie gewesen sein mögen, andere anzuschließen und gar solche, die sich nicht bestimmen lassen wollen als ein Glossarium vergangenen Schulbetriebes, gemischt aus ein wenig Unmut, aus einer ganzen Menge Freiheitsgefühl, einem Häppchen Versöhnlichkeit und - es mag sein - wenigen Tropfen Wehmut. Und alsdann: Hinaus ins Leben. Die Bewahrung fällt, und „die Freiheit und das Himmelreich gewinnen keine Halben". Ja, dann allerdings genügte es: „Blumen auf den Weg gestreut und des Harms vergessen". Allein ich meine, es bedürfe einer Klärung, des Versuchs einer Klärung wenigstens. Was war denn diese Klasse? 
Und ich wage gleich zu antworten: Die Jugend von heute. Nicht darum gewagt, weil sich der oder jener entrüsten könnte ob dieser Jugend, vielmehr ob dieser Klasse, nein, gewagt, weil so oft und gern dieses Wort von Hinz und Kunz okkupiert wird zu allen möglichen erstaunlichen und erheiternden Beweisen. Es ist ein Wort, das eine Ganzheit meint und doch an Ausschnitten sehr deutlich werden kann. Ich wüßte nämlich nicht, ob dieses Wort von jeder Klasse  gesagt werden könnte, als solch' einem
mehr oder minder zufälligen Ausschnitt eines Ganzen. Gewiß, auch diese Klasse ist Ausschnitt, zufällig und doch bedeutend. Denn diese Klasse war keine Klasse, keine Gemeinschaft, konnte es nicht sein, sie war „die heutige Jugend“, ein Teil nur, gewiß, aber ein wichtiger, das soll hier heißen: ein bezeichnender.

Wir kennen alle und sprechen vielleicht selbst mit die Worte über die Jugend unserer Zeit: Was sie sein soll und was sie nicht sein soll, wie sie behandelt und erzogen, angesprochen und begriffen werden kann, und alle spüren, manche erkennen, wenige sagen, daß das alles Unsinn ist, weil man meint, ein Zusammenhängendes, ein Einheitliches, wenigstens ein Bestimmbares vor sich zu haben: Jugend unserer Zeit. Das andere ist schwer zu schlucken, wie so vieles, wie eigentlich alles heute, das man nicht mit Untergangsdialektik beschwören und nicht mit dem geistigen Rotwelsch der ewigen Vereinfacher: „Es ist alles schon dagewesen“ in Ordnung bringen kann; nämlich, daß es den Nenner „Jugend“, durch den sich all' die Zähler beginnender Individualitäten doch ganz hübsch dividieren lassen, nicht gibt. Daß es sie nicht gibt: die trunksüchtige, die verantwortungsfreudige, die resignierende, die begeisterte, die materialistische, die gläubige, die idealistische, die im Aufbruch befindliche, die schreckliche, die verzweifelte, die Auf- und Ab-, die Hin- und Her-Jugend der Artikel und Reden, der Angstmacher und Propheten, der Minister und Räte, daß es das Kontinuum und das Bindende-- immer war es bisher da, und hieß es nur Wertherfrack oder gar Wandervogel -, daß es das Kontinuum und das Bindende nicht mehr gibt.

Vor mehreren Wochen, wir erinnern uns noch gut, wurden wir nach unserer Meinung über den Lebenslauf eines Abiturienten gefragt, den eine Fachzeitschrift abgedruckt hatte. Es gab keine einheitliche Meinung, es gab Gelächter und Zustimmung und Skepsis, aber -so glaube ich - nicht drei Meinungen, die auf einer Linie lagen. Und zur selben Zeit etwa wurden wir voll Erstaunen darauf hingewiesen, daß es bei uns nie „eine Wand gegen den Lehrer gegeben habe“, keine einhellige Ablehnung, kein Mißtrauen in cumulo - „wie zu meiner Zeit vor 30 Jahren“. Es gab noch mehr nicht: Niemals hat die Klasse einen einzelnen ausgeschlossen oder gebannt, und wenn vielleicht eine Gruppe den Versuch unternommmen hätte, was nie geschehen ist,. sie wäre wahrscheinlich ausgelacht, gar nicht ernst genommen worden. Statt dessen gab es aber Kämpfe beim Einsammeln der einen Mark, die monatlich für die Abschiedsfeier von jedem bezahlt werden sollte. Und es gab dann einen für seinen Teil mit Recht empörten Kassierer, aber niemals die einhellige Entrüstung der Klasse über die drei oder vier Säumigen. Natürlich haben wir alle manchmal über diesen „Klassengeist“ geschimpft, aber im Grunde machte sich doch keiner etwas vor, wußten oder ahnten es doch alle, daß es - von Aeußerlichkeiten abgesehen - so bleiben werde, ja. so bleiben müsse, daß wir nicht Gemeinschaft spielen konnten.

Nicht Gemeinschaft spielen! Der Kreis weitet sich. Es ist gut, für einige Augenblicke um sich  zu schauen, und den Krabbelbetrieb der sogenannten Bemühungen  zu belächeln; Bemühungen um die Restauration irgendwelcher Formen und Gehalte, um die Wiedergewinnung einer Gemeinschaft auch - mit Volkslied und Tandaradei, Bemühungen, den Teppich noch einmal zu flicken, nein mehr, denn das Flicken ginge noch an, den zerschlissenen Teppich „auf neu“ auszustaffieren, obwohl man doch über kurz damit rechnen muß, auf dem Steinboden zu stehen, obwohl man endlich den Mut haben sollte, den Unsicherheitsfaktor in die Existenz aulzunehmen, statt Sicherheit zu mimen. Und da meine ich neben jener gewiß paradoxen Gemeinsamkeit des Nichts-miteinander-gemein-haben, der aber nicht ausgewichen, sondern die nur bekannt werden kann, eine andere Gerneinsamkeit in der Jugend zu sehen: die der Skepsis [immerhin fünf Jahre vor Schelskys „Skeptischer Generation“!]. Auch sie ist nicht umfassend, sie widerspräche sonst der ersten, aber sie ist es doch nahezu. Skepsis gegenüber den Bemühungen um die Restauration des Abendlandes, die nichts anderes sind als Fluchtversuche in die Nichtwirklichkeiten. Diese Skepsis mag sich sehr verschieden äußern, intellektuell oder auch ganz vital, als Abwehr gegen das Verzapfen des Geistes, mag nun Goethe oder Sartre ausgeschenkt werden. Und diese Skepsis läßt allein eine Annäherung an jene zu, die ehrlich sind, wahrhaftig, die nicht Sicherheit mimen, wo wir die bodenlose - und ich spreche mit Benn - ontologische Leere, die über allen Unterhaltungen liegt und die die Frage nahelegt, ob die Sprache überhaupt noch einen dialogischen Charakter in einem metaphysischen Sinn hat, spüren. Und wir spüren sie, sage ich, ohne der Generation lobhudeln zu wollen, wir spüren sie sehr deutlich. Diese Skepsis ist nicht ein Skeptizismus aus Untergangsstimmung à la mode, sie ist die natürliche Reaktion auf soviel Gerede und so wenig Wort, eine Skepsis ohne Ressentiments, die um das Nicht-mehr-vermö­gen der meisten weiß und sich darum nicht mit Vorwürfen aufhält. Denn Vorwürfe werden nur dort laut, wo die Hoffnung existiert und berechtigt ist, verborgene Sicherheiten zu gewinnen.

...

 

In der KWV erregtes Gespräch über Benns „Das Genieproblem“.  Büchners „Danton“ und „Woyzeck“. Beides sei kraftvoll und groß, aber der „Woyzeck“ bedeutender: Realität des Typischen.

Freischütz-Aufführung: mittelmäßig hübsch, lasse manches Opernproblem deutlich werden, die Wolfsschlucht-Szene sei vom Musikalischen her nicht stark genug, sich über die Schauerromantik zu erheben.Glucks „Orpheus“: so ließe ich mir Reform gefallen, typisch, klar, bestimmt.

Den englischen Film „The Browning Version“ beeindruckt aufgenommen

  

In Heidelberg stehe ein Zimmer für mich bereit. Ich werde erst um den 30. nach H. fahren: die große Fahrt ins Leben.

Milder, fast sanfter Ostertag[Mitte April], Blühen von Ginster, Birnen, Kirschen und vor allem Pfirsich. Die Sinne werden reger, Wochen des Öffnens und Beginnens.

                   

                   [Gedicht vom 15.4.52]

                        Pfirsichblüte –

                

                 Pfirsichblüte, du, Schimmer,

                 Schwebend, rosen-bewahrt,

                 Einsamkeit leicht - und immer

                 Sanfter Vergängnis gepaart.

                 Lichter Schaum, Aphroditen;

                 Ostasiatische Riten.

  

                 Nur Gestalt. Nicht Bewegen,

                 Noch zu Befruchtung gedrängt:

                 Nur der Zartheit geschenkt,

                 Schon dem Sinken entgegen.

                 Pfirsichblüten, ihr, Kronen

                 Umrißgestalteter Zonen.

  

Die „Statischen Gedichte“ Benns. Wirkung  von Schnitzlers „Fräulein Else“  als Funkmonolog trotz Käthe Gold als Sprecherin nicht sehr intensiv. 

Max Müller, Freiburg, habe bei der Eröffnung der Universitätswoche über Einsamkeit und Gemeinsamkeit gesprochen. Darüber wird ausführlich berichtet. Es könne aber nicht überzeugen, daß Müller theologische und philosophische Aussagen gleichsetze. 

Marlowes „Eduard II.“ erscheine den historischen Dramen Shakespeares gegenüber um Jahrhunderte älter: Härte der Komposition. 

Der 19jährige Ferras habe Beethovens Violinkonzert sehr virtuos, elegant, aber auch keck und mit einer gewissen Wildheit gespielt.

  

Ende April ein vorläufiger Rückblick und Warten auf die neue Umgebung. „Mehr wird sich ändern, als man gefürchtet, weniger, als man gehofft hatte.“

  

„Student in Heidelberg, verklärt durch romatische Assoziationen, die natürlich keine Wirklichkeiten mehr sind.“

Farbige und weiße Amerikaner. Frage, ob sie nicht doch ein Land der Zukunft in jeder Beziehung repräsentieren. Durchtechnisierung als Errungenschaft der Zivilisation. Sie dulde nur auf dem ihr nützlichen Gebiet Kompliziertes, daneben gehe es um Vereinfachung, ja Primitivierung, Wissenschaft werde Puzzle-Spiel, der Geist sei nur noch für Quiz-Aufgaben da. In der heutigen Feinstruktur der amerikanischen Gesellschaft scheine der Kommunismus Rußlands auf westliche Art ausgeprägt zu sein.

  

Der Genuß der ersten Vorlesungen nicht allzu groß. Mit der Universitätsbibliothek käme ich schon ganz gut zurecht.Bei Prof.Mann habe eine Übung über das Drama des Expressionismus begonnen, die gut zu werden verspreche.Beginn des publizistischen Seminars und erste Sitzung der Arbeitsgemeinschaft Funk.

  

Die neue Strawinskij-Oper „The Rake’s Progress“ gesehen. Alles sei Ironie, aber auch wieder dramatisch, ja fast tragisch und dumpf. Ein paar Tage später eine wenig ergiebige Diskussion darüber unter Wolfgang Fortners Leitung,der„schwadronierend“ gesprochen habe.

  

Kleist gelesen. Knappe, harte Prosa, z.T.schärfster Sarkasmus, der durch die Form objektiviert werde, so, als dürften nur ganz wenige den Umfang des Ausgesagten erfassen. „Käthchen“ sei wunderlich: viel Lebendiges, aber auch Dinge, vor denen wir hilflos seien. Vermengung des Historischen mit dem Romantischen. Dennoch erstaunlich: Welch ein Schmarren wäre daraus geworden, hätte Schiller den Stoff gestaltet.

  

Verleitet vom Thema in einem Vortrag über Benn und die neue deutsche Lyrik, den ein Dr. Höllerer[Schriftsteller, später Literaturprofessor an der TU Berlin] gehalten habe. Halbgares Zeug, hilflos stehe die ganze Zunft vor dem „wirklich Neuen“, von dem sie ohne ein Fünkchen Ahnung „quatsche“.

Sehr allgemein, etwas romantisierend sei ein Vortrag des Grafen Baudissin von der Dienststelle Blank [Vorform des späteren Verteidigungsministeriums]gewesen: „Wehrmacht und Grundrechte heute“.

  

Ein leichtes und bedeutendes Serenadenkonzert auf dem Schloß mit Purcell, Grétry, Haydn. Dies sei unsere abendländische Musik: durchsichtig, geistig reich, belebt.

  

In der Arbeitsgemeinschaft Funk habe der Stuttgarter Programmdirektor gesprochen, nämlich über die Programmgestaltung beim künftigen Fernsehen. Man müsse erst einmal experimentieren. Ich denke:Je größer die technischen Möglichkeiten würden, desto weniger vermöchten wir geistig zu folgen. Das Fernsehen als eine neue Aussageform sei noch eine völlig unerkannte Größe. Es sei so, als habe das Theater als Drehbühne begonnen, und man habe dann angefangen, sich über diese Möglichkeit Gedanken zu machen. Auch Aeschylos habe im Ausschuß gesessen.

  

Über die Unfähigkeit von uns Heutigen, Worte für das zu finden, was unsere Welt ausmache, „nämlich ihre Inkontinuität, ihre völlige Unverhältnismäßigkeit: Atombombenpilz und blauer Maitag“. In der Literatur seien die bisherigen Gestaltungsformen nicht in der Lage, die neuen Wirklichkeiten darzustellen. Scheinbar ursprüngliche Gegensätze verschwänden, scheinbar ursprüngliche Einheiten entzweiten sich. Vielleicht werde dadurch die Möglichkeit der Lyrik als absoluter Wortkunst größer.

Ich lese Faulkners „Licht im August“. Es gehe nicht um Unbedingheit, sondern um Selbstbeschränkung, Bescheidung, der man nicht entfliehen könne. Das junge Mädchen am Anfang und am Ende: „offen für alle Eindrücke, still, ohne bedeutende Schwere, erstaunt und freundlich“. Faulkner gelinge es besser, Ereignisse und das Äußere von Gestalten zu zeichnen, als Gedanken deutlich zu machen.

Lektüre von Expressionisten im Rahmen der Übung, u.a. von Döblins Alexanderplatz-Roman.Die Bibelliebhaberei wirke forciert und habe nur vage Beziehungen zur Geschichte. Aber „die Technik des Wort-werden-lassens der Vorgänge, Gedanken und Assoziationen [sei] manchmal bewundernswert sicher“.

Lese im Jahrgang 1930 der „Weltbühne“. Die Artikel von Tucholsky: „wieviel Mut und Klugheit war in diesem Blatt investiert“. 

Der Film „Alles über Eva“. Er zeige, wie die heutigen Menschen von sich Distanz gewinnen. Wenn das ein Wert sei, so besäßen wir ihn ganz.  Ich trete in den Film-Club ein. Er bringe Eisensteins „Alexander Newski“: „ein vollsaftiger historischer Bierschinken“.

„Orphée“ von Cocteau. Faszinierend, hinterher „gruselige Gefühle“ Das sei aber alles. „Le Rideau Carmoisi“: „z.T. außerordentlich, z.T. an der Grenze des Möglichen“.

  

Die Eltern kommen nach Heidelberg, und ich zeige ihnen Zimmer und Universität. Vergeblicher Versuch, ein Manuskript bei der „Neuen Zeitung“ unterzubringen.

Über Pfingsten sei ich per Anhalter nach D. und zurück gefahren.  Danach „feierliche Immatrikulation“.Ich treffe einen Mitschüler aus dem Friedrichstift 1944 wieder: Manfred W., der hier evangelische Theologie studiere. Besuch im Stift. Spaziergang mit M.W. zum Weißen Stein und nach Leimen. M. lese mir den Brief eines Freundes vor, der jetzt in Amerika ist: Melancholie und Zynismus.Kandidatur für den Großen Studentenausschuß. Mit M.W. auf dem Sommerfest der Universität. Ausflug mit der Arbeitsgemeinschaft Funk. Altstiftler-Treffen. Abschlußball der Tanzstunde. Große Hitze. Badeleben vor dem Haus am Neckar. Besuch der Freundin in Heidelberg. Rückkehr nach D.

  

Tagebuch von Gide, der zweite Band. Vieles zu privat. Erstaunliche soziale Haltung und Staatsfreundlichkeit. Die rücke ihn mehr in die Nähe von Claudel als in die von Bernanos. 

Sichtung  und Verwertung von Vorlesungsnotizen. 

Sendung der Uraufführung  der „Liebe der Danaë“ von Richard Stauß. Die Fabel von Hofmannsthal sei „köstlich“. Ich will den Roman „Der blaue Kammerherr“ von Niebelschütz (nach derselben Vorlage) lesen. 

Von einer Ausstellung wird berichtet mit Arbeiten moderner rheinischer Kunst von Marc, Macke, Nauen, Seehaus u.a., auch K.R.sei vertreten. 

  

Unsere Alltagssprache sei mager und undifferenziert: nacheinander sei der Käse und dann ein Buch „wunderbar“. 

Unsere Fortschrittswelt sei ihren Anlagen und ihren Zielen nach absolut sinnlos. Sie suche den Menschen von den Beschwerden der Arbeit, damit aber von der Arbeit selbst zu „befreien“. Das wolle der Mensch aber gar nicht, könne es auch nicht ertragen. Auf der anderen Seite würden Menschen überlastet: Manager opferten sich für Bonbon- und Klosettbürstenfabriken.

  

Ende August eine Einladung zu einer Europa-Tagung in Bad Schwalbach. Die Teilnehmer seien fast alle zukünftige Publizisten. Abends eigentümlich unsichere, unbestimmte Gespräche. Einige gut informierende Referate,so Prof. Raupach über Europa zwischen UdSSR und USA. Auf der Rückfahrt Begegnung mit großen Bildern in Wiesbaden: Dürer, Baldung Grien, Holbein d.Ä., Graff. 

  

Sartres „Fliegen“ wirkten komisch, aufgeblasen, Jüngers Essay „Über die Linie“: Er kenne alles genau, wolle unbedingt einen Kreis herausbekommen. Kafkas Tagebücher. Die seien sehr strapazierend. Wenn man vorher Gide gelesen habe, kenne man die Extreme. Bei K. sei noch der einfachste Satz doppelbödig. Der Humor sei ganz wunderbar und versteckt. Kierkegaard-Biographie von Hohlenberg: „die atembeklemmende Schwere dieses Lebens. Die Verlobung mit Regine, welch ein Stoff“.Im „Sonntagsblatt“Bericht über das Gespräch zwischen Benn, Bergengruen und Holthusen in Berlin. Etwas faselnd, mehr Gedanken zu als Bericht von.

  

Mit vierzehn Klassenkameraden zusammengesessen: Unkompliziertheit, letzte Pubertätsdumpfheit. Meine Generation sei fast ganz vergangenheitslos.

Vater reist nach Griechenland. Er freut sich sehr. Er fuhr Ende September nach Amsterdam, flog dann nach Athen. Später begeisterte Karten von dort, aus Rhodos, Kreta und Ägypten, Istambul und Zypern. Weltreisen seien in ein paar Jahren Ausflüge.

Ich arbeite bei der Kupferhütte, soll die Werksbücherei neu einrichten. Kleine und veraltete Bestände. Neuanschaffungen seien nötig, Kataloge anzulegen.

  

Auf der neuen großen Bühne des Stadttheaters der „Don Giovanni“. Der sei ohne Vergleich in der Operngeschichte. Er verschlage einem fast den Atem. Aber dann gehe der Vorhang runter und die ganze Gesellschaft singe einen fidelen Chorus. 

Zum ersten Mal Gründgens in Düsseldorf gesehen: Jedes Wort habe Wirklichkeit, jede Geste Schwere. „Heinrich IV.“ von Pirandello, drei Monologe über die Enthüllung des Scheins und die Verhüllung des Seins. 

Das Ballett Joos mit dem „Grünen Tisch“, einem unheimlichen und starken Werk, auch heute. Sonst sei  mir der Ausdruckstanz sehr suspekt. 

In der KWV mache die Form noch zu große Schwierigkeiten. Benns „Stimme hinter dem Vorhang“ solle gelesen und besprochen werden.

  

Bei der Rückkehr nach Heidelberg nehme ich die Wahl Eisenhowers zum Präsidenten als erstes zur Kenntnis. 

„Leonore 40/45“,Oper von R. Liebermann gesehen.Der Stoff sei aktuell und realistisch, aber der Librettist Strobl schiebe komische Irrealistik ein. Das  Erfreuliche an der Musik sei die ziemlich strenge und straffe Rhythmik, was aber das Fehlen guter und präziser Einfälle nicht kompensieren könne. 

Von mehreren Zusammenkünften mit „Dr. Walser vom Süddeutschen Rundfunk“[= Martin Walser] wird mitgeteilt: er sei „gewiß ein guter Mann“, wisse sich aber nicht als „Ausnahme“.

Gespräch mit Prof. Mann: lehrhaft, etwas trocken, das störe aber nicht.

Löwiths Nietzsche-Vorlesung wird gerühmt: sie sei sehr präzis, „bei aller Zurückhaltung fast spannend“. Das Verhältnis Nietzsche-Burckhardt sei beängstigend im gegenseitigen Mißverstehen.

  

Nach bestandenem Klavierexamen kommt die Freundin unangesagt zu einem Kurzbesuch.

Der ehemalige Lehrer Dr.W. schreibe, ohne daß man damit rechnen konnte. Sehr eingezwängt in Tätigkeiten. Zu Weihnachten nach Hause. Die Botschaft werde auch aus den Lautsprechern der Geschäfte trompetet. Alle Welt sei nur darauf bedacht, „daß der Zirkel des Spiels nicht unterbrochen werde“.

  

  

Nummer 10 (März/April 2005) s. Archiv

  

INHALT: VON DEUTSCHLAND: Schiller über sein Zeitalter – Die Lösung – Zwischen 1968 und 2005. VON DEN MEDIEN: Dr.h.c. Enderlein und sein Hörfunkrat oder Wie ein Kontrollanhängsel des öffentlich-rechtlichen Apparats funktioniert oder Wie sich eine Mücke als Elefant erweist - Fernsehinformation – Fernsehkommentare – Fernsehdiskussion über die Fußballweltmeisterschaften in Deutschland 2006 – Fernsehpolitiker. VON DER SPRACHE: Sprache und Mediensprache I - Reichtum der Jugendsprache oder Universallexikon ihrer wichtigsten Lexeme und Redewendungen. VON DEN KIRCHEN: Dialog mit einem Kardinal. VOM THEATER: Theater in Wien. VON DER GESCHICHTE: Frédéric. Johannes Kunisch, Friedrich der Große und seine Zeit. VOM (EINSTIGEN) LEBEN: 1951 

  

Die Nummern 1 – 10 s. Archiv

  

s. Register der Nummern 1 – 10 von „Zur Lage der Nation“,hrsg. von Helmut Arntzen.

   

   

   

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