Zur Lage der Nation          

                    Bemerkungen zur Sprache, Literatur, Kultur, Politik und

                                            zu den Medien in Deutschland

                                     Herausgegeben von Helmut Arntzen

                                                                      

                                           Nummer 17 (Sept./Okt. 2007)

  

  

INHALT: VON DER LITERATUR: Barockes Trauerspiel (Gryphius und Lohenstein) 2.Teil . VON DER POLITIK: Der Fall Bremen – Politische Rede. VON DER UNIVERSITÄT: „Kuschelnoten“ – Lumpengesindel. VON DEN MEDIEN: Die Welt als Zeitung – Zwar-aber – Fernsehnachrichten -- Öffentlich-rechtliche Volksmusik – Ein Metaphoriker des Deutschlandfunks – Festenbergs Marquise von Posa. VON DER WIRTSCHAFT:Reisende mit Traglasten – Soll Frechheit siegen? VOM (EINSTIGEN) LEBEN: Erste Berliner Jahre (1959  - 1964)  – Nachtrag. Google-Transparenz?

  

  

VON DER LITERATUR

  

Barockes Trauerspiel

(A.Gryphius, Carolus Stuardus – D.Casper von Lohenstein, Sophonisbe)

Zweiter Teil (Erster Teil s. ZLdN Nummer 16)

  

Die zweite Abhandlung beginnt, wie die erste endete, mit den Stimmen von Toten, den Geistern der engsten Berater des Königs: Thomas Wentworth’, des späteren Earl of Strafford, und des Erzbischofs Laud, deren historische Vorbilder einige Jahre vor Karl hingerichtet worden waren. Sie resümieren die Vorgeschichte des jetzigen Zustands als Unheilsgeschichte; gleichzeitig geht es um eine Hierarchie des Unrechts. Nacheinander werden der oberste Staatsmann, der höchste Bischof und schließlich der König selbst hingerichtet, zunehmende Signale für den Zerfall des Staates. Schließlich erscheint der Geist Marias Stuarts, die selbst Königin war, Großmutter Karls und ebenfalls Opfer Englands. Vor dem schlafenden Karl spricht sie: 

  

Geist Mariae Stuardae, Carolus auff dem Bette. 

[…]
Pocht Britten euren Rath. Wer seine krumme Sachen
Befördert wissen wil / setzt mit dem Nachdruck an /
Vnd zwingt die Zepter selbst. Wo jemand hören kan /
Wo jemand mit Vernunfft / diß Stück wil überlegen:
Der denck ihm etwas nach! Kan Recht ein Vrtheil hegen
Wenn thörichte Gewalt den Richterstul besetzt.

[…]
Was ists den Britten mehr umb eines Königs Haubt?
Es ist der Insell Art! Vmb daß ihr Edward glaubt

Gab er sein Leben hin. Wilhelm der rott erröttet

Vnd zappelt in dem Blut. Ihr Richard ward getödtet  

Durch den geschwinden Pfeil. Johann verging durch Gifft/

Das ihm das Kloster mischt.[…]

[…]

Hir wird der Erb-Fürst selbst den Schott und Irr gekrönt 

Dem Britten sich verschwor von eignem Volck verhönt. 

Man spitzt auffs Königs Brust nicht ein verborgen Eisen / 

Man mischt nicht frembde Gifft in unbekante Speisen / 

Man legt nicht Zunder ein zu unterirrd'scher Glut / 

Man schickt kein untreu Schiff auff die erzürnte Flut / 

Auch gehn ihm nicht durchs Hertz vil unversehne Schwerdter / 

Man bringt ihn heimlich nicht weg an verdächtig' Oerter / 

Sie rasen mit Vernunfft / sie setzen Richter ein 

Es muß ihr Doppelmord durch Recht beschönet seyn.

[…]  (Zit. Andreas Gryphius, Carolus Stuardus. Trauerspiel. Hrsg. von Hans Wagener. Stuttgart  1972.  W + Seitenzahl)

(W 34 f.)

  

Das führt aus, was im Chor der ermordeten Könige angelegt war. Die Fülle der Königsmorde wird  in der Mitte des Monologs im einzelnen durchgegangen, aber alle waren als Morde manifest. Wieder wird als das Unerhörte der Mord unter dem Schein des Rechts behauptet. - Der zum letzten Mal erwachende König scheint von dieser Reflexion gar nicht berührt zu sein; seine Maxime ist die in Gryphius' Trauerspielen sich bei den Hauptfiguren wiederholende und in geringer Abwandlung im deutschen Trauerspiel bis zu Büchners „Danton" begegnende: "Wir sind des Lebens sat" (W 36). Das ist eigentlich eine Formel, die seit Antike und Altem Testament dem Greis ansteht. Hier ist sie die des Resignierenden, dem gerade das nichts mehr bedeutet, dessen Verfall und Verlust die negative Bedeutung des Ganzen ausmacht:: "Cron, Leben, Stand und Reich..." (W 37) Die Szene zwischen Karl und seinen Kindern, die sich anschließt, steigert diese Resignation zur Trauer, die keineswegs - wie oft vom barocken Märtyrer behauptet - durch unbewegte constantia verdrängt wird. Vielmehr ist gerade der Anfang der Szene eines der Beispiele für das Drama in der kleinsten Einheit des Verses. Denn nicht nur wechselt die Figurenrede innerhalb eines Verses bis zu viermal, vielmehr droht auch die poetische Argumentation des Alexandriners ständig in den Interjektionen "Ach" und "O" sich aufzulösen (W 40 f.). Dann aber setzt Karl dreimal an zu einer Schlußermahnung seiner Kinder: Er prophezeit seine Rechtfertigung in der Einsetzung seines Sohns Karl als König, er mahnt, am Glauben und Recht festzuhalten, er verpflichtet seine Kinder, die Erbfolge zu beachten. Der Resignation hinsichtlich der eigenen Ansprüche, der persönlichen Trauer, die zum Schluß der Szene noch einmal Ausdruck gewinnt, wird die Verpflichtung der folgenden Generation entgegengestellt, der religiösen und der staatlichen Tradition treu zu bleiben, sie wiederherzustellen. 

Wieder wäre einer modernen wie isolierten Betrachtung dies Ausweis einer Absolutismus-Apologie, die ja auch aus dem Mund eines Königs nicht verwunderlich wäre. Aber der Kontext ist nicht, wie schon deutlich geworden, der einer Verteidigung des Bestehenden vor allem, sondern der einer Problematisierung des Neuen. Dieses Neue zeigte sich in der ersten Abhandlung als Versuch der Durchsetzung von Mord als Recht.

Am Ende der zweiten Abhandlung erscheint im „Chor der Syrenen“ dieses so bestimmte inhaltliche Neue als Signal einer nun Gott selbst zugeschriebenen Welt-Revolution im wahrsten Sinne des Wortes, eines gewissermaßen kosmischen Umsturzes. Der „ I. Abgesang beyder Chöre“ lautet:

  

     Wie? Oder stellt des Höchsten Macht

     Ein unerhörtes ändern an?

     Hat sich sein Geist auff was bedacht

     Das kein Gemütt ersinnen kann? (W 47)

  

Die Ermahnung des Königs erscheint als eine so nachdrückliche wie vergebliche Beschwörung der Tradition als dessen, dem einfach darin, daß es nicht das Neue ist, immerhin noch eine Tendenz zum Wahren innewohnt. Aber so nachdrücklich diese Beschwörung sein muß, so vergeblich erscheint sie, wenn gerade „das unerhörte ändern“, das aber keinesfalls die Herstellung des Besseren, ja des Richtigen ist, Gottes Willen entspringt. Beides ist, wie nicht näher ausgeführt zu werden braucht, eine ungeheure, unserem Empfinden diametral zuwiderlaufende Reflexion: Veränderung ist hier nicht, auch nicht tendenziell, Veränderung zum Besseren; aber Veränderung als Heraufkommen der Katastrophe entspricht göttlichem Willen:

  

     Nun rette wer sich retten mag /

     Ihr Schafe fliht. Die Noth ist groß. (W 48)

  

endet die zweite Abhandlung.

  

Hier muß eingehalten werden. Historisch ist das, was an Behauptungen aus dem Stück herausgelesen werden könnte, unhaltbar. Über Karl I. zum Beispiel schreibt Egon Friedell in seiner „Kulturgeschichte der Neuzeit“:

  

Sein Sohn Karl der Erste war in vielem sein[seines Vaters Jakob I.] Gegenteil: klug, liebenswürdig, gesittet, ein vollendeter Kavalier und feinnerviger Förderer der Künste und Wissenschaften. Van Dyck hat den ganzen englischen Hof gemalt: den selbstbewußten eleganten König, die dekorative träumerische Königin, die zarten steifen Prinzessinnen, den anämischen femininen Kronprinzen, eine vornehme dekadente Welt in diskreten absterbenden Farben.

Aber Karl besaß eine schlechte Eigenschaft, die alle seine guten aufwog: er war nicht imstande, ein gerades Wort und eine gerade Handlung hervorzubringen. Nach ihm sind die noch heute beliebten King-Charles-Hündchen benannt, sehr blaublütige und sensitive, aber ziemlich falsche und eingebildete Geschöpfe. Einen ebensolchen Charakter besaß der König. Es war schlechterdings unmöglich, mit ihm zu verhandeln, er hinterging und belog jedermann, hielt niemals, was er versprochen hatte, und verdrehte seine eigenen Worte ins Gegenteil. Er war so töricht, zu glauben, es sei die beste Kampfmethode, alle Parteien zu täuschen, um dadurch über alle zu herrschen. Es scheint, daß diese grundsätzliche Doppelzüngigkeit und Wortbrüchigkeit bei ihm nicht bloß in der erblichen Perfidie der Stuarts begründet war, sondern auch in der Überzeugung, der König stehe so hoch über seinen Untertanen, daß ihm ihnen gegenüber alles erlaubt sei. So geriet er immer mehr in ein Netz von Finten und Widersprüchen und verlor schließlich das Vertrauen des ganzen Landes. (E.F., Kulturgeschichte der Neuzeit . Bd 1. München 1976.S. 448)

  

Als Tendenzstück konnte das Drama wenig leisten, wenn die ungeheuren Drohungen, die aus dem Stück sprechen, mit der weiteren Entwicklung Englands verglichen werden, die schon im 17. Jahrhundert politisch sehr günstig ist, und zwar innen- wie außenpolitisch.

Angesichts solcher offenkundiger Widersprüche zur historischen Wirklichkeit behilft sich die Literaturwissenschaft gemeinhin auf folgende Weisen. Entweder spricht sie (als Literaturhistorie) von der historischen Relativität des Standpunkts, der in einem Text wie diesem sich zeige, und endet eben bei einer Einschätzung der politischen Position des Autors, also hier von Gryphius. Worin das Unbefriedigende dieser Auffassung liegt, darüber habe ich gesprochen. Auch ist es eben sehr schwierig, dem Stück einen eindeutigen Standpunkt zu unterstellen. Es ist, wie sich für uns gezeigt hat, gerade nicht eine einseitig-eindeutige Apologie des Absolutismus.

Der andere Behelf ist der der sogenannten höheren Wahrheit. Auch die interessante These von der Postflguration des Leidens und Sterbens Christi in der Darstellung des letzten Tages und der Hinrichtung des Königs ist ja ein solcher Behelf. Nicht soll behauptet werden, diese Analogie sei abwegig, keineswegs. Nur wissen wir, daß die beiden ersten Abhandlungen das Märtyrerdrama Karls nicht primär in der Perspektive des erlösenden Leidens und Sterbens Christi darstellen, sondern eher in einer Perspektive der Verdammnis derer, die diesen Tod verschulden. Und nicht der Aspekt der gottgewollten positiven Erneuerung wird mit dem Tod des Königs verbunden, sondern der des schrecklichen Neuen, das allerdings von Gott gewollt ist. Eine direkte Analogie des Ganzen zur Passion Christi, die anderes unbeachtet ließe, führte zu einer Interpretation geradezu blasphemischer Reflexion des Stückes. -

Doch ist denn das, was deutlich hinzukommt: die Verkehrung von Recht und Unrecht in ihr Gegenteil sinnvoll so grundstürzend darzustellen, wie es hier offenbar geschieht? Wird nicht einfach eine Rechtsordnung von einer anderen, revolutionären abgelöst? -

Die dritte Abhandlung ist die längste dadurch, daß Gryphius in der Fassung B des Trauerspiels die erste Abhandlung hinzufügte und die bisherige zweite und dritte zu einer Abhandlung verband. Aber ganz offensichtlich ist diese die wichtigste des Stücks und schon strukturell als dessen Zentrum ausgewiesen. Wie sehr scheinbar nur Technisches semantisch werden kann, zeigt sich an dem großen Dialog zwischen Fairfax und Cromwell, in dem Gryphius gegenüber der Fassung A die Dialogteile nur der jeweils anderen Figur zugeordnet hat: Was dort Fairfax spricht, spricht nun Cromwell und umgekehrt. Das hat natürlich etwas mit dem neu eingeführten Befreiungsplan der Gemahlin des Fairfax zu tun und mit der Neigung des Feldherrn, diesem Plan zuzustimmen. Aber erstens wird damit noch nicht geklärt, was dies wiederum bedeutet, und zweitens wird übersehen, was der Austausch der Rollen in dieser Szene über die Einschätzung der Figuren als Dramenfiguren sagt. Die Auffassung, es gehe für Gryphius nicht um individuelle Gestalten, sondern um Argumente, darum sei ein einfacher Austausch möglich, ist  insofern unsinnig, als es ja im Drama um Argumente von Figuren als Personen geht. Doch der Rollen- und damit Argumentationstausch zeigt, daß es nur noch um austauschbare Meinungen und damit um Personen als bloße Meinungsträger geht.

Das bedeutet nicht die subjektive Unehrlichkeit all dieser Argumente bzw. ihrer Sprecher. Es bedeutet - und damit ist schon etwas über die Struktur dieser Abhandlung gesagt -, daß alle Sprecher in den Strudel der Meinungen gezogen werden, da die Kriterien dessen, was Recht und Wahrheit ist, nun allein dem Subjekt überantwortet sind.

Was nun darüber entscheidet,  und zwar nicht nur faktisch und  für den Augenblick, sondern mit dem Anspruch auf grundsätzliche Bedeutung, ist das, dessen Kategorie 100 Jahre später grundlegend wird auch für das deutsche Drama und von nun an gegen das Sprechen ausgespielt wird: die Tat. 

  

  (nach oben)

  

Die kurze erste und die ebenso kurze letzte Szene der dritten Abhandlung  sind  explizite   Aufhebungen   des   Abhandlungscharakters   für   den  jeweils entgegengesetzten Aspekt. Die erste:

  

Fairfax und seine Gemahlin

 

Fairf. Sie trau: Ich werde nicht mein Wort zu rücke nehmen

Dafern bewuste zwey sich zu der That  bequemen;

Soll eh der Abendstern wird aus der See auffstehn/

Der König frey von Angst und Stock und Band entgehn.

Gemahl. O! wer wird dises Stück nach Würden preisen können!

Möcht auch der Himmel uns/mein Licht/ was schöners gönnen

Als disen Anschlag mir/Ihm Mutt und Tapferkeit 

Den Vorsatz zu vollzihn? Fairf. Ich eil'/es heischt die Zeit

Daß man sich nicht zu lang mit Reden hir verweile.       

Wo ich die Wach auffs neu/auffs neu die Heer eintheile;

So hats nicht ferner noht. Sie steh mit Seuffzen bey

Damit nicht beyder Wundsch und Müh vergebens sey.

Ich scheide mit dem Kuß. Gem. Gott laß es wol gelingen!

Er laß ihn was er wagt mit Nutz und Heil vollbringen!

(W  48 f.)

   

Hugo Peter. Cromwell.

  

Wie? hat der Schott einmal das Ende finden können!

Crom. Ich wolt und möcht ihm mehr zu reden nicht vergönnen

 Pet. Der Catt ligt abermals dem Fairfax in dem Ohr. 

Crom. Noch eh der Schott abtrit/steht schon der Catt im Thor. 

Pet. Man fahre schleunig fort/denn hilfft kein überlauffen. 

Crom. Schaff an! man fahre fort! Sind die beschickten Hauffen  

Durch Gaß und Platz vertheilt? Pet. Mehr denn zu wol bestelt. 

Der Port ist starck besetzt. Das Waffen-volle Feld 

Erschreckt die bleiche Stadt. Crom. Nun! keine Zeit verloren. 

Man sagt es habe sich ein Hauffen hart verschworen/ 

Zu retten Stuards Kopff. Drumb nehmt das Schloß in acht.

Bewahrt das Traurgerüst/und handelt mit Bedacht.

Pet. Eh'r soll der Leib zustückt auff lichter Glut verbrennen 

Eh soll man Fleisch von Fleisch und Glid von Glidern trennen: 

Eh soll mein bluttend Haubt auff Londens Brücken stehn: 

Eh der verdammte Carl der Straffe soll entgehn. (W  80)

  

In der ersten Szene soll der Befreiungsplan der Frau von Fairfax anfangen sich zu realisieren; in der zweiten wird die Hinrichtung endgültig vorbereitet; die erste will das Alte wiederherstellen, die letzte das Neue herstellen. Aber in beiden haben wir ganz ähnliche Formulierungen.

                                               Fairfax: Ich eil'/es heischt die Zeit

Daß man sich nicht zu lang mit Reden hir verweile. (W 49)

           
Cromwell: Ich wolt und möcht ihm [dem schottischen Gesandten ] mehr zu

                                                                            reden nicht vergönnen. 

[…]

Nun! keine Zeit verloren! (W  80)

  

Der entscheidende Unterschied zwischen beiden Szenen,  die,  wie gesagt, strukturell völlig analog sind und der Abhandlung den Rahmen geben, sind nicht deren verschiedene Tendenzen, sondern das sich andeutende Zögern vor der Tat des Fairfax dort, die Entschlossenheit zur Tat von Cromwell und Peter hier. Damit ist der Rahmen für eine Folge von Dialogen gegeben, die fast alle die Verwandlung des Sprechens von Wahrheit  in Meinung zeigen. Was heißt das? Es heißt zunächst und ganz formal gesprochen die Identität des Lexikons der oppositionellen Sprecher.

Wir haben also nicht mehr das Demonstrative der Gegensätze der Dialogpartner, wie es uns heute noch da und dort im Bereich der Trivialliteratur o. ä. begegnet, das, was 

wir mit Schwarz-Weiß-Malerei bezeichnen und was in der mittelalterlichen und spätmittelalterlichen Literatur Figurenhaltungen möglich macht, die expressis verbis 'gut' oder 'böse' sind. -

Wir haben aber auch nicht den Kampf der oppositionellen Ideologien: konservativ contra liberal, Recht contra Freiheit etc. etc., wie es in der Interpretation des Dramas zwischen Schiller und Hebbel eine Rolle spielt. Vielmehr sprechen  die Hauptfiguren eine gleiche oder doch zumindest sehr ähnliche Sprache, so daß sie sich auch im Gemeinsamen des Alexandrinerverses vermitteln kann, obwohl doch schlechthin Konträres gemeint zu sein scheint. Darum kann es allein um die Dominanz der einen oder anderen Meinung gehen. Auf welche Weise, davon wird sogleich zu sprechen sein.

Für die heutigen Leser ist aber wichtig, wie dieser Anfang der literarischen Darstellung meinunghaften Sprechens schon das reflektiert, was eigentlich an dessen Ende, nämlich in der Gegenwart, zu seiner selbständigen Erscheinung kommt. So ist jedem Sensibleren heute das Reden von „Demokratie“ z. B. nicht darum verdächtig, weil er die geschichtlich gewordene Semantik des Begriffes ablehnte, sondern weil alle davon reden, obwohl dieses Reden längst die letzte Schwundstufe des Meinens, nämlich die Phrase, erreicht hat, d. h. „Demokratie“ nur noch die euphemistische Benennung des jeweiligen politischen Zustandes ist. Die aufständischen Offiziere Hacker und Hewlet sprechen in der zweiten Szene der dritten Abhandlung mit dem puritanischen Führer Peter über die Schwierigkeit, Gericht und Hinrichtung Karls zu bewerkstelligen. Aber diese Schwierigkeiten bewältigen sie bewußtseinsmäßig leicht, insofern sie die tradierten Kategorien antik-christlicher Staatslehre, eben v. a. wieder die Kategorie des Rechts übernehmen. Dabei beziehen sie sich nachdrücklich auf das Alte Testament und auf den Gedanken des Tyrannenmords. Diese Anknüpfung an tradierte Kategorien, der Anspruch also, diese nun legitim zu gebrauchen, soll gleichzeitig die Erneuerung von Staat und Gesellschaft als restitutio in integrum bedeuten:

  

[...] Pet. Halt Hewlet kommt - - Du wirst den Abgott fällen 

Du Jerub-baal du / du wirst die Freyheit stellen 

Auff unbewegten Grund. Du bists den Gott uns schickt / 

Durch dessen Faust er Kirch und weites Land erquickt. 

Vnd unsern Joram stürtzt. Leb ewiglich gesegnet! 

Hack. Du bist zu rechter Zeit mir gar gewündscht begegnet. 

Der Höchste rüste dich mit Stärck und Beystand aus! 

Auff deinem Arm beruht der Britten Heil und Hauß. 

Hew. Ich bin bereit mich selbst vor Brittens Heil zu wagen 

In grimster Schmertzen Noth / wie könt ich hir denn zagen 

Nun der gerechte Gott des Ertz-Tyrannen Zil  

Zu schrecken was noch herscht durch mich befesten wil.

Hack. Recht so! doch das man auch das Recht nicht unrecht handel;

Vnd auff gewisser Bahn / nicht ausser Gräntzen wandel;

Trägt dir / Krafft diser Schrifft / der Rath die Vollmacht auff

Vnd gönnt so vil an Ihm dem Vrtheil seinen Lauff.

Pet. Diß ist des HErren Wort! hir/ hir ist Gottes Finger!

Er strafft nach heilgem Recht den Recht- und Land-bezwinger /

Diß ist der grosse Schluß der in der Wächter Schar

Einhellig abgefast und außgesprochen war.

Legt Hand an! last euch nicht der Blätter Schmuck bewegen!

Legt Hand an! last uns Aest und Gipfel nider legen.

Man haw den Baum entzwey / der Reiche / Städt und Statt /

Mit ungemeiner Pracht vor überschüttet hatt.

Schau Held! hir ist das Beil / das Gott dir selbst heist reichen.

Auff eil und mache dich an Carls unfruchtbar' Eichen /

Vns hat (es ist nicht ohn) der Blätter Schein verführt;

Nunmehr ists Zeit! haw' ab! Hew. Mein Hertze wird gerührt.

Ich küsse Briff und Beil. Mir wird anitzt vertrauet;

Was noch von Anbegin die Erden nicht geschauet.

So viler heil'gen Wundsch und unterdruckter Wonn

Der längst erblasten rach. Peter. Noch ungeborner Sonn- - -

Wer da? - -Last uns von hir - - - Ich hab euch noch ihr Helden

In innerster Geheim was wichtigs anzumelden.

(W 51 f)

  

  (nach oben)

  

Das Trauerspiel selbst stellt die subjektive Aufrichtigkeit dieser Adaptation eines Sprechers übrigens keineswegs in Zweifel. Es konfrontiert nicht, indem es auf irgendeine Weise von außen kommentiert, sondern es kommentiert gerade durch die Identität des Redens derjenigen, die im totalen Gegensatz stehen oder zu stehen meinen. -

Die beiden nun folgenden Szenen der zwei königstreuen Obristen, zu denen Fairfax kommt, bringen einen anderen Aspekt bloß meinunghaften Sprechens: nämlich den taktischen, opportunistischen Verhaltens. Ausgerechnet die Offiziere, die den König retten wollen, tun es, um künftig 'richtig zu liegen'. Und der hinzukommende Fairfax macht sich seinerseits wie irgendein Mehrheitsabhängiger zum bloßen Funktionär.

Die sich am Ende der Szene andeutende Entwicklung ist nicht die aufgrund eines reflektierten Entschlusses, sondern die taktischer Manöver, innerhalb deren die Gesprächspartner sich in Vorsicht zu übertreffen suchen.

  

I. Hochnötig wär' es daß man was zu fürchten hätte.

II. So glaubst du daß man sich durch Furcht aus Vnruh rette?

I. Aus Vnruh / was noch mehr aus höchster Sicherheit. 

Vnd Zweytracht die schon blüht. Wie wirds nach diser Zeit 

Vmb das Gebitte stehn? Was wird sich nicht entspinnen? 

Sihst du wie Cromwel sucht die Hertzen zu gewinnen? 

Durch was vor  frembde Renck er sich ins Ansehn spil. 

Glaubt man das Fairfax nicht versteh wohin er zil. 

Dörfft auch der Bürger-Krig sich aus der Asch' erheben; 

Wofern nicht Fairfax sich wil seiner Macht begeben. 

Last auch gewündschte Ruh in Albion einzihn; 

Wird dann nicht unser Ruhm mit unserm Dinst verblühn? 

Wird nicht das Volck diß Stück gantz anderwerts betrachten; 

Vnd die es itzund fürcht vor Königs Mörder achten? 

[…]

II. Vernünfftig überlegt. Wie aber würd' es gehen

Wenn wider uns das Heer auffrührisch wolt auffstehen

Vnd beiden - - - I.O. Stelle nur die Sorgen aus der Acht.

Das Heer ist uns zu Dinst. Wann hat es je bedacht

Was auch der Feldherr schloß. […]

Wird er des Königs Haubt zu retten sich bequemen

Sie werden alles vor ein rathsam Stück annehmen;

Man streich alsdann die That mit etwas Farben aus

So fält uns jeder zu. Ich glaub es sey kein Hauß

Von Ansehn / in dem nicht zum minsten einer klage:

Daß man sich mit dem Beil an Carols Nacken wage.

Auch die die vormals wol beschimpften seine Macht

Hat der betrübte Fall in tiff ’ Erbarmung bracht.

Doch schau der Feldherr selbst. II. Ob. Halt unsern Schluß verholen

Biß er sich selbst zu erst erklähre. I. Wol befohlen.

  

Fairfax: Der I. und II. Obriste.

  

Fairf. Ich find euch höchst-gewündscht. Bleib Leib-wach was zurück.

I. Der Feldherr sey gegrüst. Fairf. Was dünckt euch zu dem Stück? 

Soll auff heut Albion das größte Traurspil sehen?

II. Obr. Der Feldherr red' ein Wort / sein Wille soll geschehen. 

I. Die Rüstung steht bereit. Wann er nur Hand anlegt /

Wird Augenblicks das Werck wohin er wil bewegt. 

Fairf. Hab ich ohn euren Rath wol etwas vorgenommen? 

I. Ob. Ruhm ists wo wir Ihm je mit Rath entgegen kommen. 

Fairf. Was übrig / Freunde ligt so wol an euch als mir.

I. Bedarff er unsern Dinst zu etwas: Wir sind hir.

II. Man fasst die Vrtheil' ab auff daß sie außzuführen.

Fairf. Wolan! so sterb er dann / fahrt wol. I. Hir kan man spüren /

Daß sein Gemahl ihn nicht auff ihre Meinung bracht.

II. Gutt ists / daß man sich nam auff seine Wortt' in acht.

Vnd nicht bald bloß gab. I. Obr. Ach! so muß der König leiden!

II. Obr. Es scheint der Himmel heiß' Ihn aus dem Elend scheiden

Das vor der Thüren wacht. Wilst du nicht mit hinein?

I. Fahr wol mein Freund! ich mag nicht bey dem Bluttrath seyn. (W  53 f)

  

Die beiden Szenen mit Fairfax und Cromwell, zu denen in der zweiten noch Peter kommt, bringen die vollständige Entfaltung der Intention dieser Abhandlung, sie stehen in deren Zentrum.

  

Thomas Fairfax. Olivier Cromwell

  

Crom. Der grosse Tag bricht an der uns wird freye sehen.

Fairf. Den aller zeiten Zeit wird loben oder schmehen.

[…]

Crom. Es kan nicht übel gehn. Wir stehn für Kirch und Hütten.

Fairf. Diß gab auch Stuard vor/auff den wir itzund wütten.

Crom. Wir wütten wider den/der über uns getobt.

Fairf. Den gantz Europ' und selbst gantz Albion gelobt.

Crom. Das Werck ist nun zu fern/wir können nicht zu rücke.

Fairf. Nur daß sein Vntergang uns beyde nicht erdrücke.

Crom. Er drücke! wenn mit mir mein Todfeind nur erdrückt.

Fairf. Dein Erb-Herr Crom. Wider den ich Gottes Schwerdt gezückt.

Fairf. Wohin wird unser Kahn von disem Sturm geschmissen?

Crom. Vil besser Carols Kopff als meinen abgerissen!

Fairf. Die Faust siht schrecklich aus die Fürsten Blutt befleckt.

Crom. Tyrannen Blutt steht frisch. Wie Feldherr/ so erschreckt?

Fairf. Der Briten grosses Land ist ob dem Stück erschrocken.

Crom. Warumb? daß Carol frist/was er uns ein liß brocken!

Fairf. Der Prister gantze Rey rufft wider dieses Spil.

Crom. Sie selbst ist der das Werck im Anfang so gefil.

Fairf. Sie rufft/sie schreit/sie schreibt/von Cantzel/ Hauß und Stülen.

Crom. Sie schreibe wie sie wil und laß' uns Recht außspilen.

[…]

Fairf. Der Völcker Recht verbeut Erb-Könige zu tödten. 

Crom. Man hört die Rechte nicht / bey Drommeln und Trompeten. 

Fairf. Trompet und Drommel sind dem Könige verpflicht. 

Crom. Vor / da er König war. Carl ist kein König nicht.

[…] 

Fairf. Soll man durch so vil Blutt die neue Freyheit kauffen! 

Crom. Wer dinen wil der mag in seinem Blutt ersauffen. 

[…]

Crom. Wir pflantzen Früchte / der  die Nachwelt wird genissen.

Nur mutig! Du wirst sehn / ob schon der Anfang schwer;

Es werde für sich gehn. […]

                                               Will sich was regen

So  geht die Klinge loß. Der zittert vor dem Degen

Der ein gevölltes Haus/ ein unerzogen Kind/

Ein Eh’bett für sich hat.[…]  (W 55 – 59)

  

Fairfax Hugo Peter, Cromwell.

[…]

                                                    Fairf. Entdecke dein Gemüt! 

Pet. Ich mißbrauch ohne Noth des Haubtmans Zeit und Güt. 

Fairf. Mit nichten. Fahre fort. H. Pet. Da man mich ja wil hören; 

Dafern ich Weisere denn mein Verstand sol lehren: 

So setz ich/daß nichts mehr den Adel groß gemacht/ 

Als erstgeborner Recht. Wenn dises weg gebracht 

So steht er / als entwehrt. Man lasse gleich auffheben/ 

Die gleich/auff gleiche Zeit/von gleichen Eltern leben. 

Scheins mehr denn nur zu vil. Mein Bruder geht mir vor/ 

Warumb? umb daß ich nicht vor ihm den Tag erkor/ 

[…]

                                                  Denn wird die Pracht zutretten/

Die von dem Pövel sich auff Himmlisch an liß betten/ 

Denn herrscht wer Waffen führt. Denn wird gantz Britten rein 

Von Adel/Graff und Printz/trotz Catt und Rheten seyn.

[…]     

Pet. Der Feldherr glaub es fest/es wird nicht besser stehn; 

Biß rechtsgelehrter Nam und Stand wird untergehn. 

Wir haben Krafft des Sigs/Macht Satzungen zu stifften; 

Drumb weg mit dem was stehts fußt auff verfaulte Schrifften! (W 62 f.)

  

Schon gleich zu Anfang werden die Verse gesprochen, die die Austauschbarkeit der Positionen (die Gryphius ja tatsächlich auch vornahm) einräumen. Aber dann entfaltet sich in Cromwells Rede mehr und mehr, wodurch dennoch eine Identifikation von Rede und Sprecher möglich ist. Paradox gesprochen darin, daß des einen, nämlich Cromwells Rede, sich durchsetzt, indem sie statt ihrer selbst Gewalt einsetzt. D. h. Cromwells Rede verzichtet an den kritischen Stellen bewußt auf Argumentation und ruft dem Dialogpartner die Überlegenheit der eigenen Position einfach als Gewaltüberlegenheit in die Erinnerung. Rede als Meinung dankt also genau in dem Augenblick ab, da es um die Frage ihrer argumentativen Durchsetzung geht. Das Recht des Stärkeren, diese heute schon zur Floskel gewordene absurde Rede, installiert sich hier, ohne freilich auf den Rechtsanspruch der Gewaltausübung zu verzichten. Auch die Berufung auf die Nachwelt, die das gegenwärtig Umstrittene rechtfertigen werde, wie die von der totalitären Rücksichtslosigkeit, wie sie erst seit der Französischen Revolution geläufig zu sein scheint, hören wir bereits in diesem Dialog .

Aber erst Peter führt diese Intentionen zu Ende. Nicht Gewalt gegen einen anderen mit gleichem Rechtsanspruch, ist die letzte Phase des Zerfalls allen Sprechens in Meinungsrede, dessen Ideal doch der "herrschaftsfreie Diskurs" sein soll, der ja auch hier 
z. B. in dem stichomythischen Dialog, also in ständigem Wechsel von Rede und Gegenrede formal durchgehalten wird. Es geht, wie gerade ein Repräsentant der Religion, also universellen Sprechens vorbringt, um universelle Gewalt, um offenbare oder latente Gewalt gegen alle, also um den Zustand ständigen Terrors. Der wird von Peter gleichgesetzt mit der Abschaffung des Erstgeburtsrechts, einem demokratisierenden Moment also, das aber gegen
eben das Alte Testament verstößt, auf das sich der Independentenführer Peter beruft. Aber auch das geschriebene und tradierte Recht wird verworfen. „Recht“ soll nun allein Bestätigung der Gewalt sein.

Im folgenden Monolog zeigt sich Fairfax schon darin, daß er nur sich selbst die ganze Wahrheit eingesteht, als der Unterlegene, dessen Taktik versagt, weil ihm nicht allein der gleiche Anspruch begegnet, den er selbst vertritt, sondern weil dieser Anspruch in einem seine gewaltsame Durchsetzung verkündet und darum aller Taktik überlegen ist. In den drei nächsten Dialogen, denen nur noch der am Anfang zitierte kurze abschließende folgt als der dem kurzen einleitenden analoge - in diesen drei Dialogen ist die Wirkung des Geschehens als dessen Zukunftsbedeutung reflektiert.

Die beiden ausländischen Gesandten, der kurpfälzische und der holländische, stellen auf die politische Wirkung und Zunkunftsbedeutung ab: 

  

Hoffm. So stillt der Drommel-klang die rasende Gemein. 

Wer Könige verdammt / wil mehr denn König seyn. (W 68)

  

Das Neue erscheint als bloße Steigerung des Alten, und gerade nicht als dessen wesentliche Veränderung: das Schreckliche wird nur das Schrecklichere. An die Stelle der alten Herrschaft tritt freilich nicht einfach eine andere, sondern eine mit umfassenderem Anspruch.

Aber genau dies, das ist die Intention der Rede des ersten Grafen in dem nächsten Dialog, ist gerade doch die kategoriale Änderung, der Umschlag der Quantität der Veränderung in eine neue Qualität.

Der zweite Graf nämlich sieht nichts als einen üblichen Herrschaftswechsel, ob dieser nun nur als personeller oder institutioneller sich vollziehe. Dagegen hält der erste dies:

  

  (nach oben)

  

                                     […]Itzt geht der König hin!

Mit ihm stirbt unser Glück. Bedencke den Gewin

Wenn uns nach seinem Fall wird tödten und verbannen /

An eines Printzen statt / ein gantzes Heer Tyrannen. (W 73)

  

Das Trauerspiel stellt nicht die bloße oder sich steigernde Fortsetzung des Unzulänglichen, ja des Unrechts und der Barbarei dar, sondern die Ungreifbarkeit, die Entpersonalisierung der Tyrannei zum allgemeinen und abstrakten Zustand, die politische Institutionalisierung von Hobbes' "bellum omnium contra omnes", die der Staat nach diesem gerade doch, wenn auch mit äußerster Strenge, verhindern sollte.

Dies aber wiederum ist, so der Tenor des Dialogs zwischen dem schottischen Gesandten und Cromwell, unaufhaltbar.

Cromwell nimmt eine Metapher auf, die in der ersten Abhandlung vom Chor gebraucht worden war. Der dritte Chor sprach:

  

Nur diß ist new: mit tollen Händen 

Der heil'gen Themis Richt- Axt schänden.(W 27)

  

Die Usurpation der Legitimität aber ist in dem Augenblick gelungen, wo eigene Meinung von dominanter Gewalt gestützt wird. Das ist die 'Entwicklung' des Sprechens der dritten Abhandlung. Und so hat nun eben Cromwell jene Metapher zur Verfügung, die doch in der ersten Abhandlung noch die des "Chors der ermordeten engelländischen Könige" .und damit der Repräsentanten überindividuellen und verbindlichen Sprechens gewesen war: Cromwell: 

  

 Man muß der Britten Zanck durch Themis Richt-Axt schlichten. (W 74)

  

Die individuelle Rede setzt sich als die allgemeine und darin ‚wahre’ Rede kraft bloßer Gewalt durch, nicht als wahrhaft subjektive kraft des Gedankens. Sie wird darum selbst in den unaufhaltsamen Sog dessen gezogen, das sie doch ganz aus eigenem Willen bereitet zu haben scheint:

  

So wenig euch vergoennt den Grund der Welt zu spalten: 

So wenig koennt ihr heut das Richt-Beil hinterhalten/ 

Weil nichts mehr retten kan / nichts sag ich / glaubt es mir: 

Es stünde denn GOtt selbst und augenscheinlich hir. (W 80)

 

Nun folgt jene kurze Schlußszene, die den Sieg der Gewalt anzeigt. 

Die relativ kurze vierte Abhandlung intensiviert die Intention der zweiten. Gegen die Menge willkürlicher Meinung, gegen die Dominanz der sich mit der Gewalt verbindenden Meinung der Independenten und Cromwells steht des Königs Bereitschaft zum Leiden. Denn im Leiden allein bewährt sich hier die Wahrheit als subjektiv vermittelte. Es ist die wahre Opposition zur Unwahrheit gewaltbestimmender Meinung. So steht im Zentrum der Reflexion Karls das Paradox:

                         

                       [ ...] schaut wie ich überwinde

In dem mein Zepter bricht. (W 83)

  

Auch der offene Widerspruch zwischen institutionell-politischer Unschulds­behauptung und persönlichem Schuldbewußtsein (z. B. an der Karl abge­zwungenen Hinrichtung des Earl of Strafford) ist in dieser Reflexion aufgehoben, im Leiden die Wahrheit zu bewähren, insofern jenes eben der Gegensatz zur nur willkürlichen Gewalt (des jeweils Stärkeren) ist. Ihr wird die durch Gewalt siegende Berufung auf Gott  in  einem kurzen Monolog Hugo Peters entgegengestellt als eben darin sich zeigende Unwahrheit. Und unwahr ist ebenso die scheiternde taktische Vorsicht der Fairfax-Gruppe. Ausgetragen wird darin bereits das Problem des Konflikts im Subjekt selbst. Nicht dessen überlegenes, immer an einem gesetzten Kriterium zu messendes Argument bezeugt dessen Wahrheit, wenngleich das Argument, wie das ganze Trauerspiel zeigt, eine bedeutende Funktion hat. Das Argument erhält seinen Wahrheitsstempel erst dadurch, daß ein Sprecher - und hier liegt die Analogie von Karls Weg zu dem der Passion Christi - zum Leiden, ja zum Sterben bereit  ist, während  Unwahrheit im Aeon des Subjekts sich in der Verbindung von Argument und Gewalt, aber auch in der von Argument und Opportunismus zeigt. In der Perspektive des Gryphiusschen Trauerspiels also ist Politik sowohl als Macht- wie als Kompromißpolitik immer schon Lüge.

Am Schluß der vierten Abhandlung spricht der „Chor der Religion und der Ketzer“,also des Glaubens unter der Bedingung der Subjektivität. Religion zeigt sich als ideologisch von der jeweiligen politischen Macht mißbrauchte. Doch erhascht die Macht nur jeweils Stücke des Mantels der Religion. Damit ist der alte Topos von Kleid und Leib, von Akzidentellem und Wesentlichem eingeführt. Denen, denen nur "ein leres Kleidt" bleibt, antwortet die "Religion aus den Wolcken":

  

Geht! geht! und schmückt euch aus mit meines Mantels stücken!

Ein reines Hertz läst sich durch dise nicht erquicken!

Es sucht und findet mich in GOtt der Wahrheit ist.

Vnd der ein reines Hertz zum Wohnhauß ihm erkist.(W 95)

  

Der Gegensatz zur Meinung, die nur des “Mantels stücken“ an sich reißen kann, ist “ein reines Hertz“; nicht also Orthodoxie, Rechtgläubigkeit, sondern das Subjekt als wahrhaftiges. Es erscheint als die Voraussetzung dafür, daß Wahrheit noch einen irdischen Ort habe.

Die fünfte Abhandlung ist auf den Vollzug der Gewalt und auf die Vollendung des Leidens aus. Aus ihm hebt sich der Monolog Polehs, eines Richters des Königs, heraus, der wahnsinnig geworden ist, also sein Bewußtsein verloren hat, das ihm die Harmonisierung von Meinung und Gewalt bisher ermöglichte. Der Wahnsinn erscheint im Sprachverlust, im Übergang in den bloß noch geschrienen Laut.

  

Poleh

Komt rasend mit halb zurissenen Kleidern und einem Stock in der Hand auff den Schau-platz gelauffen.

  

[…]

Halt auff! halt! halt! ein Heer daß man die Drommel  rühr! 

Der König kommt gerüst! daß man die Stück auffführ! 

Trompet und Picquen fort! gebt Losung! last uns stehen! 

Dringt an! last uns dem Feind hir unter Augen gehen! 

Trarara! Trarara/Tra/tra/tra/ra/ra/ra! 

Tra trara paff/paff/puff! paff! Ist der Feldherr nah? 

Paff/paff! der Hauffe fleucht! der König wird geschlagen! 

Last/last uns (stehn wir noch?) erhitzten Mutts nachjagen! 

Wo steckt/wo kommt er hin? was schau ich? Er verschwind. 

Wie wird mir? ists ein Traum? Ja Träume/ Dunst und Wind 

Bestreiten leider mich/und mein verletzt Gewissen. 

Mein Hertz wird lebend noch in diser Brust zurissen. (W 101 f.)

  

Dem folgt die Szene der Hinrichtung des Königs,  die noch einmal den

Trauerspielcharakter des Dargestellten betont, also auch die dramatis personae zu

Zuschauern eines bedeutenden Vorgangs macht.

Die letzten Worte des Königs sind ein Gebet als Kirchenliedstrophe.

Aber nicht damit, vielmehr mit den „Geistern der ermordeten Könige“ und mit der Stimme der Rache schließt das Stück. So sehr der Einzelne als "reines Herz" sich zu retten vermag, so sehr ist das Ganze dem vollkommenen Verderben anheimgegeben:

  

Die Rache.

[…]

Komm Schwerdt! Komm Buerger-krig! komm Flamme!

Reiß aus der Tiffe vor geschminckte Ketzerey!

Kommt weil ich Albion verdamme!

Ich geb Jerne Preiß und Britten Vogelfrey!

Ihr Seuchen! spannt die schnellen Bogen!

Komm! komm geschwinder Tod! nim aller Gräntzen ein!

Der Hunger ist voran gezogen /

Vnd wird an Seelen statt in dürren Glidern seyn!

[…]

Ihr Geister! laufft! weckt die Gewissen /

Aus ihrem sichern Schlaffen auff!

Vnd zeigt warumb ich eingerissen!

Mit der gesammten Straffen Hauff!

Ich schwere noch einmal bey aller Printzen Koenig

Vnd der entseelten Leich / das Albion zu wenig

Zu daempffen meine Glutt. Das Albion erseufft:

Wo es sich reuend nicht in Traenen gantz verteufft (W 114 f.)

  

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Mit größter Wucht treffen hier die Möglichkeit der Heilsgeschichte des Subjekts und die Realität der Heillosigkeit der Weltgeschichte aufeinander. Es drängt sich fast auf, hieraus aktuelle Bezüge abzuleiten. Aber vor solchen unmittelbaren Aktualisierungen ist wieder zu warnen, weil sie den jeweiligen Text als literarischen zu leicht verfehlen.

Immerhin tritt deutlich hervor, daß das Trauerspiel nun nicht so sehr Mani­festation von Illegitimität der Revolution ist und daß die Imitatio Christi weniger semantische als funktionale Bedeutung hat. Das Trauerspiel zeigt Weltgeschichte als Verfallsgeschichte, freilich nicht im Sinne der Kontrastierung eines laus temporis acti mit einer traurigen Gegenwart. Die Perspektive des Gryphiusschen Trauerspiels ist - recht verstanden - sehr viel realistischer, obgleich doch von Realismus im Sinne des 19. und 20. Jahrhunderts die Rede nicht sein kann und weder auf durchgängige historische Richtigkeit noch auf Wahrscheinlichkeit etc. irgend Rücksicht genommen wird. Der Gryphiussche Realismus zeigt sich darin, daß ein zentrales Moment neuzeitlicher Geschichte als Streit, nämlich als Auseinandersetzung (Dialog) und Reflexion (Monolog) also als Streit des Denkens, als Streit in der Sprache Ausdruck findet: Es ist der Streit um die Qualität von Veränderung. Ist moderner Geschichtsauffassung fast jeder Tendenz Veränderung eine unbezweifelbare Grundkategorie, die erst in allerneuester Zeit unter dem Aspekt eines breiteren Fortschrittszweifels in Frage gestellt zu werden beginnt, so ist die semantisch-formale Struktur des Gryphiusschen Stückes durch  die ständige Problematisierung gerade dieser Kategorie gekennzeichnet. Dabei wird Veränderung als tatsächliches Phänomen der Geschichte weder geleugnet noch als ausschaltbar behauptet. V. a. aber, um auf den Realismus Gryphius' zurückzukommen, wird nicht die konservative Utopie eines monarchischen Legitimismus entworfen, der die Wohlordnung der irdischen Dinge repräsentieren solle. Die englische Geschichte bis zu Karl wird als chaotisch dargestellt, Karls eigene Schuld wird nicht nur nicht verschwiegen, sondern von ihm selbst eingestanden.

Die Frage, die das Stück aufwirft, ist nicht die triviale danach, ob das gute Alte zugunsten eines schlimmen Neuen weichen müsse? Aber eben auch nicht die, ob nicht das Neue auf jeden Fall schon die Tendenz zum Besseren bedeute. Die Frage des Stückes heißt, aufs äußerste vereinfacht: ob nicht historisch das Schlimme durch das Schlimmere, ja durch das Schlimmste einzig abgelöst werde, Veränderung den Schrecken also nur mehre. Diese Frage, die mehr denn aus semantischen Details aus der beschriebenen Struktur hervorzugehen scheint, ist barock darin, daß sie Geschichte als Weltgeschichte eben nur als Verfallsgeschichte (entsprechend der Darstellung W.Benjamins) sieht, ‚modern’, als sich jene  nur in der Geschichte des Einzelnen, der "reinen Herzens" ist, zu zeigen vermag. Aber es ist auch eine Frage genuin dramatischer Art, insofern sie eben einen Kern neuzeitlicher Geschichtshermeneutik als Konflikt darstellt, der ebensosehr angesiedelt ist in dem Aufeinandertreffen von überlieferter und neuzeitlicher Rede als Allgemeinem wie im Aufeinandertreffen von Satz und Gegensatz im Denken jedes Einzelnen, insofern es (schon) den Status eines Subjekts erreicht hat und nicht nur blindes Ego oder ebenso blindes zoon politikon ist.

                                                                                  (Wird fortgesetzt)

  

VON DER POLITIK

  

Der Fall Bremen

  

Bei den Bremischen Wahlen vom Mai 2007 sei den großen Parteien CDU und SPD ein Denkzettel verpaßt worden. Das sind so die Redereien von Journalisten und Politologen.

In Wahrheit war es viel mehr. Die alte Hansestadt hat längst ihren bürgerlichen Zuschnitt verloren. Gleichzeitig hat sie sich, wie die Geschichte ihrer jungen Universität zeigt, ideologisiert, was der Erfolg der Achtundsechziger war. (Nun will sie den Unsinn wieder los werden.) Und ebenso gleichzeitig hat sie begonnen, sich ins Ressentimentäre zu verkriechen.

Das alles scheint eben nur eine Bremer  Entwicklung zu sein, aber es könnte, sieht man sich das Wahlergebnis genauer an, auch  die deutsche politische Zukunft vorwegnehmen.

Da ist einmal die bemerkenswert geringe Wahlbeteiligung von 57,6 %, die bisher als eine Spezialität der unzufriedenen Ossis galt. Nun macht sie sich (nach Bayern,Baden- Württemberg und dem Saarland) als eine markante Tendenz auch im Westen breit. Jahrzehnte lang war die hohe Wahlbeteiligung  für die Deutschen kennzeichnend: das bewies sie, schien es, als Demokraten. Darum bedeutet es natürlich viel mehr als in anderen Ländern, wenn sich auch die Westdeutschen, die sich nun politisch immer mehr den Ostdeutschen anpassen, für Wahlen nicht mehr sonderlich  interessieren. Das Wahlvolk reduziert sich damit auf gut die Hälfte der Wahlberechtigten.

Weiter ist bemerkenswert, daß die sogenannten Volksparteien, die ja bisher  80 - 85 % der Stimmen bei einer Wahlbeteiligung von 75 - 90 % erhielten, nun nur noch knappe zwei Drittel (62,4 %)der sich an den Wahlen beteiligenden starken Hälfte bekommen, also etwa  ein gutes Drittel der Stimmen des Wahlvolkes. (2003 waren es immerhin noch 71,2 % bei höherer Wahlbeteiligung. Nur in Berlin, das ja westlich und östlich ist, waren es schon 2006 nur 52,1 %.) Die 16,4 % der Grünen, deren höchster Anteil in Bundes- und Landtagswahlen überhaupt,  gelten wohl weniger der taktierenden und machtverliebten Joschka-Partei  während der Schröder-Zeit, sondern eher der alten ideologischen Strickstrumpf-und-Friedens-Vereinigung, wie sie etwa in der Vorsitzenden Roth auf prächtigste Weise gedeiht.

Und dann die Linken, die in Wahrheit ja  vor allem aus den Resten der SED bestehen und in der z.B. natürlich auch die Stalinisten einen Platz haben. Es ist charakteristisch, daß jene im Westen nun gleich auf 8,5 % kommen. (Das ist fast ein so hoher Anteil wie bei den Bundestagswahlen 2005 insgesamt.) Ihre Wähler, natürlich heftige sogenannte Antifaschisten, kümmert die diktatorische Vergangenheit ihrer Gruppierung mit Ulbricht, Honecker und Mielke als Leitfiguren überhaupt nicht. Und das übrige Wahlvolk, vor allem aber dessen politische und publizistische Repräsentanten, kümmert sie auch nicht. Die Verletzung eines Tabus, darauf hat man sich geeinigt, ist nur die Wahl der rechten Splittergruppen. Denn Stalin und Mao und Pol Pot und tutti quanti sind  allesamt ehrenwerte Männer.

Das  alles läßt auf eine zum erheblichen Teil ins ideologische Konventikel, aber auch ins stramm Linke  abdriftende Wahlbürgerschaft schließen, der die „großen Volksparteien“ nichts mehr zu sagen haben. Es ist die schlimme, aber auch sehr verständliche Antwort  auf die kapitalistische Globalisierung, deren mitbestimmende Größe nicht nur ihre „Ungerechtigkeit“, sondern die  tiefe und durchgängige Korruptheit und Dummheit der großen Wirtschaft ist. Doch  darf nicht vergessen werden, daß die Alternative dazu eben der „große Stalin“ mit seinem zeitweiligen Repräsentanten ist, dem in der Wolle gefärbten Demokraten und KGB-Mann Putin.

  

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Politische Rede

  

„Es muß ein A u s n a h m e z u s t a n d  bleiben, daß die Große Koalition regiert.“ 

  

                                                                                                      Peter Struck am 1.7.07

  

VON DER UNIVERSITÄT

  

„Kuschelnoten“

  

Nach fast vierzig Jahren des Notenschwindels handelt der „Spiegel“ dieses 

Thema ab.

Er veröffentlicht  in Nummer 20/2007 Listen mit Prüfungsdurchschnittsnoten in Biologie und Betriebswirtschaftslehre. Danach bewegten sich die Abschlußnoten in Biologie an 20 deutschen  Universitäten 2005 zwischen 1,33 und 1,95, waren also selbst an der „strengsten“ Universität noch besser als „gut“. Für Betriebswirtschaftslehre sah es etwas schlechter, also besser aus, denn dort schwankten die Noten  an ebenfalls 20 Universitäten zwischen 1,70 und 2,54, d.h. zwischen "gut plus" und "gut/befriedigend". Die TU München, eine der deutschen Exzellenz-Universitäten, steht in dieser Art von  Notengebung  in der Betriebswirtschaft an zweiter Stelle.

Einerseits ist man ein bißchen zufrieden, daß nicht allein die Geisteswissenschaften, v.a. die eigene, die Öffentlichkeit mit gesenkten Leistungsstandards irregeführt haben, andererseits wird erst jetzt das Ausmaß eines Mißbrauchs sichtbar, den auch die Medien über Jahrzehnte hin verschwiegen haben. 

Dem Beteiligten ist  dagegen schon seit Anfang der siebziger Jahre klar, daß dank von Behauptungen wie der, Noten seien Unterdrückungsmittel, die Revolution an den Hochschulen vor allem darin bestand, das Leistungsniveau derart zu senken, daß wir wahrscheinlich längst z.T.Lehrer haben, die nur mit Mühe einfache Voraussetzungen für oder gar Kenntnisse selbst vermitteln und einfordern können.

Wie  seit  jener Zeit  Staatsarbeiten, Klausuren und mündliche Prüfungen manchmal zensuriert wurden, konnte bei den Zweitgutachten und als Co-Prüfer immer wieder festgestellt werden. Auch bei Promotionen gab es plötzlich in Fülle die Noten "magna" und "summa cum laude".

Man kann nachvollziehen, daß dagegen z.B. das Fach Jura durch „klar definierte Leistungsstandards im Staatsexamen“, was wohl das erste juristische Examen meint, weiterhin für zulängliche Ergebnisse sorgte. Aber da dort 3,0 und höhere Noten als Ergebnisse eines sogenannten Prädikatsexamens gelten, versteht man nicht, warum in diesem Zusammenhang die Betriebwirtschaftslehre genannt wird,  da diese ja in der veröffentlichten Liste  mit der Note 2,54  am Ende der Skala  der Durchschnittsnoten steht. Denn die gehört ja im Jus zu den seltener vergebenen  Noten für ein Prädikatsexamen und ist nicht etwa Durchschnittsnote einer Prüfung.

Jedenfalls bedeutet ein gutes Prädikat in einem Universitätsabschlußexamen, zumal  in vielen Fächern die Abschlußnote auch bei der Promotion manchmal geschönt wurde, keineswegs durchweg, daß es sich hier  um eine wirkliche Leistung handelte. Nimmt man hinzu, wie sehr es  trotz dieser sinnlosen Hochnoten in den letzten Jahren  immer evidenter wurde, daß sehr viele Studenten  die Universität ohne einen Abschluß verlassen  oder daß sie große Mühe haben, Seminar- und Abschlußarbeiten vorzulegen, die von zureichenden wissenschaftlichen Fähigkeiten Zeugnis geben, so weiß man, was den heutigen unbefriedigenden  Zustand  der Hochschulen mitverursacht hat und daß die jetzt angewandten Mittel, dem zu steuern,  wie etwa Bachelor- und Masterstudiengänge, die ja das Untermittelmaß nur fixieren, zu einem einzigen Ergebnis führen: zu nichts. 

  

Lumpengesindel

  

Am Landesprüfungsamt passiere ich einen Durchgang. Dort hat sich eine Gruppe von Examinierten, die fotografiert werden soll, also die Hoffnung der Nation, aufgestellt. Ich warte, um den Vorgang nicht zu stören.  Der studentsiche Fotograf sagt nicht: „Gehen Sie doch vorbei“ oder ähnliches. 

Aber als er fertig ist und ich schon weiter bin, ruft er mir nach: „Nu aber schnell, sonst kommste mit drauf.“ Und das Grunzen der Horde bestätigt ihn.Denn wer so blöd ist, sich nicht mit der Machete durch den Busch zu schlagen, hat sich den zynischen Nachruf  des potentiellen Haudraufs samt  gängiger Duzerei verdient .Es ist die Regression im Universitäts-Alltag: Lumpengesindel. 

  

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VON DEN MEDIEN

  

Die Welt als Zeitung

Zeitungsressorts und Sprache

  

Eine der Selbstverständlichkeiten  der Tagespresse ist die Segmentierung  der jeweiligen Zeitungsausgabe in Ressorts. Doch allein die Zentralstellung des Politikressorts  kann lehren, daß es sich hier um eine ganz artifizielle Einteilung handelt, die allerdings im Laufe von eineinhalb Jahrhunderten bewirkt hat, daß auch der normale Bürger Politik als die bestimmende Kategorie der menschlichen Wirklichkeit  betrachtet, und zwar auch dann, wenn er  wie üblich  dieser Kategorie nur mit  geringer Neigung begegnet. Wie konnte es dazu kommen? Wahrscheinlich hat diese Zentralstellung eines Ressorts gar nichts mit  der‚objektiven’ Stellung eines Themas im Kosmos des nationalen oder internationalen Geschehens zu tun, auch nicht damit, daß Politik im demokratischen Zeitalter  für jeden Bürger eine Bedeutung hat, die aus seinem Mitentscheidungspotential hervorgeht. Vielmehr ist ja gerade dieses Potential beim einzelnen sehr häufig  so wenig entwickelt, daß die verfassungsgemäße Stellung des Bürgers in der Demokratie  keineswegs als hervorgehobene und verantwortungsgesättigte erlebt, sondern  eher  als ein Dekor  erfahren wird, das die  Haltung voraussetzt, die da oben machten doch, was sie wollen. 

Es ist viel eher anzunehmen, daß das Zentrale  dieses Ressorts und damit die Politik als leitende Figur des modernen Lebens  aus einer Konzeption der Druckmedien und insbesondere der Tagespresse hervorgeht, die jede Nachricht als die  eines Ereignisses begreift , das übersehbar und eingreifend  und damit für den Leser ‚reizvoll’im Sinne des Sensationierenden ist  und Meinung  als Verstehen und Kritik politischer Ereignisse vor allem sieht, wie sie der nichthandelnde Journalist  ohne die Zwänge der Verantwortlichkeit betreiben  kann und die vom Leser  dann jeweils zu seiner persönlichen Meinung gemacht werden soll. (Es ist wahrscheinlich, daß die Zentralstellung der Politik durch die Achtundsechziger – „alles ist politisch“- seinen Grund darin hatte, daß sie ihre Wirklichkeitsvorstellung vor allem aus der Zeitung bezogen.)

Mit dem Austausch von Nachrichten über politische Vorgänge fängt wahrscheinlich der Journalismus des politischen Ressorts an. Die Nachricht  von einem politischen Vorgang  scheint nichts anderes zu sein als die möglichst genaue Information  über jenen Vorgang, so daß der Protokollsatz  im Felde des politischen Ressorts als die Gewährleistung  genauer Information gilt. Doch beginnt bei diesem Parallelismus von ‚Ereignis’und Information schon das Problem der Nachrichtensprache. Die wird ja als sprachlicher Ausdruck eines ‚tatsächlichen Ereignisses’ verstanden, obwohl es sich bei diesem Verständnis der Relation ‚Ereignis’ und Information um eine ziemlich späte Interpretation handelt, setzt sie doch  den Positivismus und seine Wirklichkeitsvorstellung voraus.  Wir müssen vielmehr  hinsichtlich des Verhältnisses ‚Ereignis’/Sprache früher ansetzen, d.h. erkennen, wie das ‚Ereignis’ selbst in seiner Entstehung bereits sprachliche Prägung besitzt. Vom  Extrem eines scheinbar nur aktionhaften ‚Ereignisses’, etwa beim gewalthaften Ausbruch eines Krieges, bis zum anderen Extrem einer explizit sprachlichen Gestalt des ‚Ereignisses’, etwa bei der Unterzeichnung eines Vertrages, haben wir in unterschiedlicher Deutlichkeit  das ‚Ereignis’ als sprachliche ‚Füllung’ einer Leerstelle. Dabei vollzieht sich  diese ‚Füllung’ zwischen der Augenzeugenschaft der nichtbeteiligten Zuschauer und der Reflexion  der Beteiligten. Die Grenzen zwischen beiden sind fast immer fließend, doch gibt es auch eine Grenzenstatik wie die zwischen  einer Theateraufführung und deren Zuschauern. D.h. die Nachricht rekurriert bereits auf einen Text, der selbstverständlich  notwendig ist, um so etwas wie  Nachricht überhaupt zu ermöglichen. Nur wenn wir es mit der ‚Übersetzung’ dieses Textes in einen anderen zu tun haben, kann die Stummheit und Undifferenziertheit der Tatsache überwunden werden.

(Sprachliche) Nachricht verlangt nun die  möglichst  enge Orientierung an dem immer schon sprachlich sich konstituierenden ‚Ereignis’. Dabei ist natürlich keineswegs sicher, daß Protokollsätze diese enge Orientierung am besten realisieren,  da sie ja so etwas wie die (per se unmögliche ) Übersetzung von (sprachloser) Tatsache in Nachricht  darstellen wollen.  Vielmehr läßt sich zwischen Bericht, Erzählung und Reflexion  eine Mannigfaltigkeit  von Nachrichtensprache vorstellen, die freilich niemals  als objektivierendes Reden  mißverstanden werden darf.  Vielmehr müßte von Fall zu Fall bedacht werden, welches Sprechen  für die Nachricht  von einem  Geschehen sich am besten eigne. 

Politik als die Konkretisierung eines humanen Allgemeinen verlangt diese Reflexion  in ganz besonderer Weise. Doch findet eine solche Reflexion nie wirklich statt, da sie überlagert wird von anderen  Tendenzen, die nicht die sprachliche Vermittlung des sprachlichen  Geschehens anstreben, sondern bei Gelegenheit  eines als (sprachlos) verstandenen ‚Ereignisses’, einer Tatsache eine oder mehrere Interessen durchzusetzen  suchen. Da sind zunächst die Interessen des  Nachrichtenjournalisten selbst, der freilich sich von vornherein den Interessen  von Agenturjournalisten ausgesetzt sieht. Beide Interessen werden wiederum überlagert durch die kommerziellen Interessen des Zeitungsverlegers und das Sensationsinteresse des vorgestellten Lesepublikums.

Das als sprachlos vorgestellte ‚Ereignis’, das Tatsache genannt wird, und die von unterschiedlichen Interessen bestimmte Journalistenrede konstituieren die Nachricht der Zeitung, des Rundfunks, des Fernsehens.

Das Ressort Politik wird also von vornherein durch eine Vielzahl bewußter und unbewußter  Interessen gelenkt, die alle eine bestimmte Rhetorik verlangen, so daß das vorgegebene Ideal einer ‚objektiven Berichterstattung’  eine eher desorientierende Funktion hat. Dies wiederum wird durch Publizistik- und Kommunikationswissenschaften mehr verschleiert als sichtbar gemacht,  so daß es zu einer grundsätzlichen Reflexion  des Sprechens der Medien im Ressort Politik kaum kommt. Das ist darum so, weil das Interesse der genannten  Disziplinen dahin geht, die grundsätzliche Seriosität und Sachlichkeit des wissenschaftlichen Gegenstandes anzunehmen.

Im Bereich des Lokalressorts, das wie das politische eines der ‚alten’Ressorts  ist, bleibt das Ereignis  von geringer  oder gar keiner Bedeutung für denjenigen, der nicht in direkter Beziehung zu dem ‚Lokal’ steht, über das berichtet wird. Für den aber, der dazugehört, hat es  die Qualität des Sensationierenden über die der  politischen Nachricht hinaus, so daß ein großer Teil der Leserschaft  den Lokalteil sogar mit größerem Imteresse  liest  als den politischen. Die Meinung zum Ereignis  bildet er sich hier am ehesten selbst. Zwischen Sachlichkeit und kumpelhafter Nähe in den Texten des lokalen Teils kann hin- und hergefahren werden. Gleichzeitig bewirkt erst die lokale Nachricht, daß die Unbezweifelbarkeit des Ereignisses  durch jene entsteht. 

Die sprachliche Gestalt der Nachricht soll hier mehr als das Sitzungsprotokoll eines Vereins verbürgen, daß das Ereignis so geschehen ist, wie von ihm berichtet wird. Doch muß neben dem Schein des dokumentierten Geschehens die Familiarität des Berichts  für den Zusammenhang mit dem örtlichen Gesamtgeschehen sorgen. Wie in Schützenvereinen  jede Charge sich wichtig nimmt und wichtig genommen wird, aber zugleich  auch die Kumpelhaftigkeit der Schützenbrüder weiter zu erhalten ist, so muß die lokale Nachricht, der lokale Bericht  für die Unverbrüchlichkeit des Geschehens ebenso sorgen wie für seine Nähe. 

Das Ressort Lokales setzt damit Traditionen fort, die für das Entstehen und die Fundierung eines lokalen Bewußtseins stehen. In der Zeit des mündlichen Transports war dieses lokale Bewußtsein aber nur für den Bürger und für die wenigen Fremden kenntlich und bedeutsam.

Mit dem täglichen Druck  wird potentiell für „alle anderen“ dieses lokale Bewußtsein ständig dokumentiert und dadurch zu einer Ortsideologie fortentwickelt, die  weniger in den Köpfen als in der Zeitung  besteht, aber durch die tägliche Bestätigung auch in den Köpfen sich mehr und mehr ausbreitet. Dabei muß es keine  Identität zwischen der Erfahrung des Einzelnen  und dieser Ortsideologie geben, die ihr Fudament vor allem in den örtlichen Vereinigungen hat.  Denn gerade die Dokumentation des ‚Wichtigen’ bei Bewahrung von dessen Familiarität bewirkt die Unterschlagung alles Unangenehmen und Unerfreulichen, das die harmonistische Wirkung der Ortsideologie stören könnte. Man weiß daher keineswegs besser, was im Ort geschieht und was ihn bestimmt, wenn man das Lokalressort verfolgt. 

Das Ressort Feuilleton  zeigt in seiner Entstehung an, daß es ‚von außen’ in die Tageszeitung gekommen ist. Ursprünglich die Beilage eines Blättchens mit Aktienkursen,  wird es zum Feuilleton durch die Aufnahme von Theaterkritiken. Mit dem Zeitungsblatt verbunden, macht es durch den fetten Druckstrich als das „unter dem Strich“ Stehende aufmerksam darauf, daß es nun zwar in die Zeitung integriert; aber der Herkunft nach kein ursprünglicher Teil der Zeitung ist. „Unter dem Strich“  erscheinen  ‚Portionen’ von Romanen oder Erzählungen, die allein schon durch diese Präsentation die Struktur des Textes mitbestimmen, wie wir es z.B. bei Balzac finden.  Ein zweiter Bereich ist der der Theater-, dann der Buchkritik, ein dritter  sind die Erscheinungen eines literarischen Genres, das auch „Feuilleton“ genannt wird und kurze Texte zu Alltagserscheinungen und –fragen meint, die nicht so sehr als solche  präsentiert werden, sondern vielmehr durch stilistische Momente, z.B. durch Ironie  auffallen sollen.

Der Nachrichtencharakter des Zeitungstextes, also die Umsetzung des ‚Ereignistextes’ in einen Zeitungstext, scheint hier ganz zu schwinden. Aber in Wahrheit  erhält er sich  auf unterschiedliche Weise. Beim Abdruck von Romanen ist einmal dieser selbst das sich täglich wiederholende Ereignis, aber auch  die Präsentation des jeweiligen Romanteils, insofern der auf  ein Spannungsmoment tendiert, dessen Einlösung erst in der nächsten Zeitungsausgabe zu finden ist. Auch die Theater- und Buchkritik, dann  die Ausstellungs-
kritiken und später die Filmkritik  beziehen sich auf  das Stück, das Buch, die Malerei und den Film als auf Ereignisse, die allerdings nicht als Nachricht  hervortreten, sondern als Anlässe für  die Meinung des Kritikers. Schließlich macht die Darstellung  des kurzen Prosatextes „Feuilleton“  etwas  eher Belangloses zum Ereignis. 

Kritik und Feuilleton im engeren Sinn sind also durchaus an den Ereignischarakter  der Nachricht, wie er im Ressort Politik vorgeformt ist, gebunden, sie realisieren  einen Text oder einen alltäglichen Vorgang aber erst durch ihre Darstellung als Ereignis. Das kann durch meinunghafte Darstellung in der Kritik, aber auch durch witzige, ironische, groteske Darstellung im „Feuilleton“  geschehen. Kritik, die sich v.a. auf das Stück, das Buch etc als Ereignis bezieht, ist aber nicht primär auf die Texte als diese Texte bezogen. Dies ist der Wandel von der sachorientierten Dramenkritik bspw. Lessings in der Hamburgischen Dramaturgie zur Literaturkritik, wie sie sich sich im späten 18. und am Anfang des 19. Jahrhunderts auszubilden beginnt. Die Kritik bewegt sich seither vom Text weg hin zur Aufmerksamkeitserregung, die den Text als  Ereignis betrifft und dazu eine besondere Suada ausbildet, wie wir sie zuerst bei Heine kultiviert finden.

Am deutlichsten kann sich die Herausbildung des Ereignisses durch Stil in den kleinen Prosatexten des „Feuilletons“ zeigen. Aber  dieser Text kann sich auch als die „notwendige Form“ des Gedankens herausstellen, wie wir das auf sehr unterschiedliche Art etwa  bei Kafka, bei Kraus und bei Benjamin erkennen können. Die Scheidelinie wird immer dort verlaufen, wo der Prosatext entweder ganz in Sprache oder aber ganz in Stil aufgeht.

Von einer Art von Feuilletonisierung kann man hinsichtlich aller Ressorts dann sprechen, wenn das zu Vermittelnde  nur noch Anlaß ist  für die Redensarten  des jeweiligen Prosatextes.

Im Ressort Wirtschaft  drückt  sich innerhalb der  klassischen Ressorts am stärksten die Tendenz zum Fachlichen aus. Die Börsenmeldungen, die das Steigen und Sinken der Kurse anzeigen, sind wohl die früheste Form dieses Ressorts. Ihre Tabellarik zeigt an, daß es sich hier nur um die Übertragung der Meldungen aus der Börse als einem Zentrum des ‚Fachs’ Wirtschaft handelt. Doch stellen sich alsbald an die Seite der Börsenmeldungen sogenannte Analysen, die das Börsengeschehen als Folge sensationierender Ereignisse erfassen und gleichzeitig  ihnen eine quasi wissenschaftliche Aura geben. Das geschieht vornehmlich durch die Übernahme des Börsen- bzw. Wirtschaftsjargons und durch Formulierungen, die die Notwendigkeit des Geschehens, das doch immer einen hohen Grad an Zufälligkeit hat, zu behaupten suchen. Wirtschaft wird dabei durchweg im engen Sinne der Kommerzialität verstanden, während  die Abläufe der Arbeit in der Wirtschaft so gut wie keine Rolle spielen.

Das Ressort Sport  hat seine quantitative Dominanz innerhalb der Tagespresse erst im Laufe der letzten beiden Jahrzehnte erhalten. Die Nebensächlichkeit des Sports wurde zunächst durch die sogenannte olympische Idee aufgehoben, die sich aber nur kurze Zeit ‚rein’ erhalten konnte, um dann im Sport als entertainment aufzugehen, das die  Hauptsache der Sportberichterstattung  wurde. An ihr kann man vielleicht am deutlichsten erkennen, daß die These von der  Information als Aufklärung  eine ideologische und gleichzeitig eine kommerzielle Funktion hat. Zeitungen erweisen sich hier deutlich als privilegiertes Geschäft.

Texte über sogenannte Spiele zu schreiben, die keinen anderen Sinn haben als den Sieg der einen oder anderen Partei, ist natürlich ohne jede ‚objektive’ Bedeutung für das Weltgeschehen, doch wird jenen  gerade  durch die Stilisierung Bedeutung durch Wirkung verliehen, die vor allem im Sensationismus sich ausdrückt, wie er  am deutlichsten im Geschrei von Funk- und Fernsehreportern bei einem entscheidenden Tor im Fußball erscheint. Daß diese schiere Geschäftspublzistik  durch den intellektuellen Kommentar begleitet wird, hilft jener wohl nicht entscheidend auf, zeigt aber, in welchem Maße  auch die intellektuelle Klasse  ihr Reden dem entertainment zur Verfügung stellt.

Das Sprechen der Ressorts trifft sich mehr und mehr in der Tendenz zum infotainment, das  durch einen populären Jargon hergestellt wird.  Daß in ihm noch der Anspruch von Aufklärung realisiert werden kann, ist leere Behauptung.

  

  (nach oben)

  

Zwar - aber

  

Die Medien empfehlen sich für jedes Zwar-Aber. Eben noch meldet das Fernsehen  schreckliche Katastrophen im Irak. Dann wünscht es einen schönen Abend und eröffnet den seinerseits  mit Volksmusik  oder einem Fußballspiel.

  

Am Sonntagmorgen wird der berühmte Historiker Demandt  im Deutschlandfunk nach der Dekadenz befragt. Das sei ein antikes Schema, gibt der Auskunft. Natürlich kenne man  dekadente Erscheinungen, aber nur in einem engen Kanal. Doch müsse man natürlich aufpassen. Ansonsten, endet er nun mehr als Naturphilosoph, gehe es immer auf und ab oder ab und auf.

  

Kurz nach ihm in der protestantischen Meditation meldet sich ein Geistlicher namens Fuchs. Der gibt ein Register von Wellness-Phänomenen, so daß man denken könnte, nun wird er all das abstrafen. Aber ganz im Gegenteil sagt er, daß dies alles „Anfrage an die Kirche“ sei, die eben nicht genug tue für das Wohlsein, zu dem schon im Alten Testament geraten werde. Nun klingt es sehr nach  PR des Dachverbandes für  Wellnessangelegenheiten, zumal er auch  in theologischer Assoziation Kosmos und Kosmetik zusammensieht. Aber, sagt er dann auch, man dürfe sich nicht durch den Terror von Bodybuilding u.ä. verführen lassen, was er  nicht als Warnung mit dem erhobenen Zeigefinger  verstanden wissen will.

  

So wanken unsere Professoren und Pastoren alle hochironisch und ohne Zeigefinger durch  den Medien –Tageslauf, deren Funktionäre sie mehr und mehr werden. Zwar, sagen sie, sei das Leben schön, aber  es habe auch unangenehme Seiten, z.B. Krankheit oder gar Tod.

Daß einige Zehn- oder Hunderttausend verhungern, erfrieren, blöd werden, als Erschlagene oder Verbrannte  sich wiederfinden,  korrumpiert sind und korrumpieren, wie die Raben klauen: alles antikes Schema, immer schon so gewesen, vielleicht etwas mehr Wellness, kein Grund zur Aufregung: auf und ab, ab und auf.

  

  

Fernsehnachrichten

  

Das Zweite Deutsche Fernsehen sendet am 20. Juli „Heute“, die Nachrichten. Natürlich berichtet es an erster Stelle  und sehr ausführlich über  das Doping im Radsport und daß es selbst, nachdem sich diese Schmierigkeiten seit Wochen, Monaten, Jahren hinziehen, nun nicht mehr direkt  über das zentrale Ereignis des Weltgeschehens, die Tour de France, berichten werde.

Dann kommen ein paar nicht so wichtige Nachrichten. Und schließlich  ziemlich am Ende der Hinweis auf die Verschwörung  gegen Hitler am 20. Juli 1944, eines der ganz wenigen Ereignisse unserer Geschichte, auf das wir stolz sein können. 

Aber das Zweite Deutsche Fernsehen  entscheidet sich  für das eigentlich Zentrale: einen Bericht über Lumpen.

Ein alter Bekannter hat mir gestern gesagt, daß er seine Erfahrungen durch Lektüre der FAZ, der  FR und weiterer Blätter sammle. Er mache sich durch diese Lektüre ein Bild von der Weltlage.

Diese besteht darin, daß wir sie aus den Blättern und dem Fernsehen erfahren, und  zwar derart,  daß uns  die so gewonnene Erfahrung lehrt, am Anfang stünden die Lumpen, am Ende die, die für Ehre und Freiheit und gegen die Tyrannei  ihr Leben wagten.

  

  

Öffentlich-rechtliche Volksmusik

  

Für 22,45 sind die Tagesthemen im Ersten Programm angesagt. Da man die Nachrichten an diesem Tag bisher versäumen mußte, stellt man  pünktlich das Fernsehgerät ein und bekommt keine Nachrichten. Man darf sich dafür, und zwar noch ¾ Stunden lang, gemütlich in der Hölle einrichten, die als Volksmusik ausgegeben  wird. Der Teufel vom Dienst heißt Florian Silbereisen (anscheinend kein Pseudonym) und ist ein freundlicher Dummkopf, also  Vertreter des Typus „dummer Teufel“. Was er uns während der nächsten 45 Minuten präsentiert, weiß gewandet und natürlich von raffinierten Oberteufeln ins Feuer geschickt, kann sich kein europäischer Mensch, der einigermaßen bei Trost ist, ausdenken. Z.B. verabschiedet sich eine Truppe, die im Zillertal beheimatet sein soll (erster Schrecken), aber nicht ewa, wie immerhin noch ‚natürlich’, „die Buam“ oder ähnlich heißt, sondern als „Schürzenjäger“(zweiter Schrecken) firmiert, was heiter wirken soll, aber nur schlechthin blöd ist. Diese Herren Schürzenjäger singen nun ihren (nach Silbereisen) größten Hit, der, weiß der Teufel warum, ein herzzerbrechender Gesang ist und etwas mit der „Sierra madre“ zu tun haben soll(dritter Schrecken). Nichts paßt hier zu nichts, aber die Leute und die Kinschtler sind dem Heulen nahe. Und die Oberteufel reiben sich als Repräsentanten einer öffentlich-rechtlichen Anstalt die Pranken. 

Aber damit längst nicht genug, kommt es nun zu einer inszenierten, aber authentischen Hochzeit, bei der ein als Herzensbrecher verkleideter Roboter, der immer wieder sagt, er habe keine Worte (Gottseidank) für das, was jetzt vor sich gehe, seine strahlende Herzallerliebste in einen Pavillon und dann wieder aus diesem heraus vor eine Dame schleppt. Die entblödet sich nicht, als Standesbeamtin zu figurieren, eine Handvoll Phrasen albernster Art abzuliefern und nur dadurch zu versöhnen, daß die Technik sich ihr verweigert (denn bei allem Jahrmarktprunk des Bühnenbildes sind die Oberteufel nie in der Lage, wenigstens den technischen Ablauf  dieses Affentheaters zu garantieren). Dem jubeln Tausende  von Abgerichteten zu, längst von öffentlich-rechtlichen Verbrechern auf einen Stand fixiert, dem gegenüber die frühe Steinzeit  ein kultureller Höhepunkt war. Und dann beginnen die Nachrichten mit höchster Warnstufe für England, mit Toten im Irak, Afghanistan und Gaza. Und wenn er nicht gestorben ist, bereitet sich Silbereisen  schon auf seinen nächsten Terrorangriff vor.

  

Ein Metaphoriker des Deutschlandfunks

  

Der Programmdirektor des Deutschlandfunks  Dr. Müchler sagte am 3.8.07 in diesem Sender u.a.:

„…an allen Ecken des Weltkreises…“

So reden sie, so reden sie, so reden sie alle Tage.

  

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Festenbergs Marquise von Posa  

  

Der Mann vom „Spiegel“, Nikolaus von Festenberg – man wird sich den Namen merken müssen – sagt es uns in Nummer 23/2007, daß nämlich „Frühstück mit einer Unbekannten“ eine „hinreißende Love-Story“ und eine „Attacke auf Polit-Blindheit zugleich“ sei. 

Und da wir immer noch glauben, daß, wenn  denn ein Mann vom „Spiegel“  nicht den gängigen Zynismus absondert, ihn etwas Ernsthaftes getroffen habe, so sehen wir uns auf seinen Rat hin, wenn auch wie er überrascht, daß uns derlei in Sat 1 geboten wird, am 29. Mai 2007 diesen Film an.

Wir sollen sehen den Anfang einer Liebesgeschichte als „bezwingendes Fernsehkino“ und  gleichzeitig die Beladung eines trojanischen Pferdes, das „an allen Absperrungen vorbei ins abgeschirmte  Allerheiligste des G-8-Gipfels  von Heiligendamm“ vordringt.

Das „bezwingende Fernsehkino“ besteht darin, daß sich ein freundlicher und intelligenter Trottel vom Finanzministerium, der unablässig über alles Mögliche und seine Worte stolpert, und eine junge Hebamme, die das Herz und das Maul auf dem rechten Fleck hat,  in einem  Café treffen und sich alsbald lieben lernen. Das sei „bestes Unterhaltungsfernsehen“, sagt uns Herr von Festenberg. Wir kennen das Unterhaltungsfernsehen  sonst nicht, aber wenn das „bestes“ ist, haben wir eine Vorstellung davon, wie es im allgemeinen aussieht.

Die Hauptsache ist aber, daß Julia Jentsch  eine „lebenskluge Hebamme“ spielt, die  den Mann aus dem Finanzministerium stante pede nach Heiligendamm zum G-8-Gipfel  begleitet, wo sie von diesem wie auch aus Fernsehfilmen lernt,  daß täglich unnötigerweise 30 000 Kinder sterben, was sie wohlgemerkt bis dahin gar nicht wußte, obwohl sie das doch in vielen Leitartikeln bis hin zur Ostfriesischen Volkszeitung lesen konnte. Nun aber muß sie darüber sehr weinen, sich ein Herz fassen und mit der „Schlichtheit des Gemüts“ auf dem Abschlußessen die strenge, aber gerechte Bundeskanzlerin Iris Berben bei deren Ansprache unterbrechen und sagen, was Sache ist: man müsse nämlich jetzt und hier und ohne jedes Säumen eingreifen. Das konsterniert zunächst die Politiker, dann aber sehen sie’s unter Führung der Bundeskanzlerin Berben  und  ihres Finanzministers ein. Und die inzwischen abgeschobene Hebamme darf ihren Sieg in den Armen des inzwischen abgehalfterten Ministerreferenten still und glücklich feiern. Finis. 

Das ist  der Sieg der „Moral der Gefühle“ über die „Macht der Politik“. So ähnlich schrieb schon der brave Kästner seine Kinder- und Erwachsenenbücher. Es sei vielleicht naiv, sagt uns Festenberg, aber es imponiere.

Es setzt vielmehr in Erstaunen, daß ein halbwegs intelligenter „Spiegel“-Schreiber offenbar täglich so viel dummes Zeug sieht und hört, daß ihm schon eine solche Schmonzette imponiert. Noch dazu, wenn er sieht und hört, was alle Viertelstunde zwischendurch uns Sat 1 an trüber Konsumlust einbleut dank entzückendster Schauspieler, die uns mitteilen, daß sie gerade wieder das Himmlischste an Kaffee, Joghurt, Käse, Rotkäppchensekt etcetera genießen. Wovon uns Festenberg, der Mann vom „Spiegel“, allerdings nichts sagt, schon weil das und zumal in Sat 1 ja das Selbstverständlichste von der Welt ist. 

   

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VON DER WIRTSCHAFT

   

Reisende mit Traglasten

Über den gegenwärtigen Tourismus

   

I  

Der große Tourismus des 19. Jahrhunderts, ermöglicht durch  die Vielfalt, die Pünktlichkeit und den Komfort der damaligen Eisenbahn, ist nicht durch den Massentourismus abgelöst worden, sondern an ihm zugrundegegangen dergestalt, daß es Unsinn geworden ist, noch vom Tourismus als einer schönen Erfahrung zu sprechen. 

Ob man sich der Unbequemlichkeit von Flugzeugen samt Warterei und ungesicherter Gepäckzuteilung, wie heißt es, „anvertraut“ oder der Schlampigkeit der Eisenbahn , für deren Elendigkeit die Nußknackerphysiognomie des Herrn Mehdorn  die Allegorie ist, ob man  sich auf der Autobahn von Baustelle zu Baustelle hangelt („wir danken für Ihr Verständnis“), schon die Einleitung jedes Reisevorhabens ist nur noch für Hartgesottene zu ertragen, die es selbstverständlich finden, daß ihnen für hohe Grade  an Unannehmlichkeiten auch noch  Kosten erwachsen, da sie doch für jede bestandene Reisequälerei  grundsätzlich eine nennenswerte Prämie zu fordern hätten. 

Es bedurfte vor allem der Erfindung von Touristikunternehmen, die durch die übliche Schönschwätzerei dazu überreden, ausgerechnet dieser Firma sich auszuliefern. Denn mehr oder weniger jede von ihnen wird dafür sorgen, daß spätestens bei der verspäteten Landung des Flugzeugs und an der überfüllten Gepäckausgabe der Wunsch wach wird, so schnell als möglich wieder umzukehren. Aber mitgefangen, mitgehangen. Das Unglück hat seinen Lauf genommen.

   

II 

Längst hat dieses Wesen auch auf die  Hotellerie übergegriffen. Das ist begreiflich, wenn es sich um  ein Glied jener Hotelketten handelt, die wie irgendein Industrieunternehmen nur noch  wegen rascher Gewinne gegründet werden, deren ganzer Service aber im Zuschieben  eines Anmeldeformulars und des Zimmeröffners  und in sonst gar nichts besteht. Aber die Einzelunternehmen machen sich diesen Stil mehr und mehr zu eigen. Selbst wenn man auf eines trifft, daß die ein oder andere Erquicklichkeit bereit hält, kann man sicher sein, daß zumindest  das wieder   eingespart wird, was auf die erwähnte Weise gewährt wurde. So findet man es hübsch, daß es im Hotel X eine kleine Teeküche gibt, dafür aber muß man am Empfang anfangs und am Ende auf die  Hoteliere geziemende Zeit warten. Im Hotel Y gibt es morgens ein ganz vortreffliches Müsli, aber bei der Ankunft kümmert sich der Hotelier den Teufel darum, ob der beladene Gast einigermaßen bequem auf sein Zimmer kommt, er hat für ihn nur wie üblich das Anmeldeformular und den  Schlüssel bereit. Service ist fast immer zur Floskel geworden.

   

III  

Zu besonderer Erinnerung fordert das „Schloß T.“ heraus. Die Bezeichnung ist ein wenig hochgegriffen, denn es geht um eine schöne Industriellenvilla, hinter der sich 

ein wohlangelegter Park ausbreitet. Auch die Zimmer sind erfreulich.  Das Hotel firmiert mit vier Sternen. Der Empfang  zweier Rezeptionistinnen besteht natürlich nur in der Zuweisung des Schlüssels. Da das Haus keinen Fahrstuhl hat, muß man sein Gepäck durch einen langen Gang und  zwei Treppen hoch schleppen, was in höherem Alter  nicht so vergnüglich ist. Das Frühstück nimmt man in großzügigen Räumen ein. Es ist am ersten Tag durchaus passabel. Da hat das Haus eine Hochzeitsgesellschaft bei sich. Am zweiten und dritten Tag ändert sich das. Kommt man nicht gleich zu Anfang, findet man ein gefleddertes Buffet vor, das auch mit den Resten  des vergangenen Großfrühstücks geziert ist. Am vierten Tag muß man mit den Überbleibseln vorlieb nehmen, die eine holländische  Motorrad-Rocker-Gruppe hinterlassen hat. Die Begründung „zahlende Gäste“ gilt als zureichend.

  

IV 

Keinen Deut anders ist es im Heimatland des Tourismus, in der Schweiz, wo man sich  nur an einem Grieben von 1912 delektieren kann, der für jedes einzelne Hotel  deutliche Angaben macht. Am Höheweg in Interlaken ist zwar die Aussicht auf die Jungfrau bewahrt geblieben. Wohnt man aber dort, so hat man sich mit Motorradgeknatter abzufinden. Rechts und links von der eigenen Herberge kann man noch Prächtigkeiten wie „Victoria und Jungfrau“ oder „Beau Rivage“ bewundern, aber dazwischen  liegen  zusammengezimmerte Futterstellen u.a. für jene Streunergruppen, die uns auch in Bern auffielen und die Wert darauf legen, in den Altstätten der Zivilisation aufzutauchen. Die „City“ von I. im Westen wirkt nicht besonders einladend. Abends muß man nach einem angenehmen  Restaurant mit zulänglicher  Speisekarte suchen.

   

V  

Welchen Zweck hat ein solcher Tourismus? Eigentlich nur den, den großen Reiseunternehmen steigenden Umsatz zu verschaffen. Sie drucken bunte Prospekte in Hülle und Fülle und lassen Bestellformulare ausfüllen. Dann hieven sie die Massen aufs unbequemste an die Stellen ihrer Wahl, überlassen ihnen Zimmer, in denen sie schlecht schlafen, beköstigen sie mit üppig Garniertem, aber mäßig Gekochtem in überfüllten  Räumen und erwarten Zufriedenheit. Tourismus ist zu einer der Schwindeleien der globalisierten Welt geworden.

  

  

Soll Frechheit siegen ?

  

Bis auf weiteres kann folgende Regel gelten: Je größer eine Firma, desto unverschämter  ihr Verhalten gegenüber ihren Kunden; je kleiner eine Firma, desto freundlicher.

  

Die Beispiele aus großen Firmen:

  1. Bei unserem R e n a u l t Laguna wird elektronisch Gefahr gemeldet. Die Assistance, mit Applomb angepriesen, erweist sich als dilettantisch. Mehrere technische Vorfälle werden dem Vorstand von Renault Deutschland  schriftlich dargestellt. Als Antwort  kommt es lediglich zu vorgeformtem Redensarten  eines Herrn Braun von der „Kundendirektion“, womit wohl  zu recht gemeint ist, daß sie die Kunden dirigiert. Der Versuch, den Vorstandsvorsitzenden , Herrn Rivoal, zu erreichen scheitert schriftlich und telefonisch. Letzteres dank der offenbar verordneten Schnippischkeit  einer Telefonistin, die sich weigert, zum Vorstand durchzustellen. Ein letzter Versuch, über  die Lieferfirma an den Konzern  zu gelangen, scheitert offenbar an der Ängstlichkeit dieser Firma  angesichts des „großen Bruders“.
  2. Die T e l e k o m berechnet völlig überhöhte Gebühren für die Internetnutzung. Auf Einsprüche antwortet sie gar nicht, u.a. wohl auch, weil bei ihr ein internes Chaos herrscht. Die ungerechtfertigten Gebühren werden also  nicht zurückgezahlt.Erst als wir die Internet-Verbindung kündigen, belästigt die Telekom uns schriftlich und telefonisch.
  3. Die T U I erweist sich als unfähig, uns  auf die Insel La Palma zu transportieren. Über das Weitere muß im Touristenzentrum Teneriffa, wo wir zwischenzeitlich ausgeladen werden,  auf Anweisungen aus Hannover gewartet werden. Wir kümmern  uns, um nicht Zeit zu verlieren,  selbst um eine Unterbringung auf Teneriffa, was  dank der Hilfe einer Mitarbeiterin gelingt. Bei der Rückfahrt zum Flughafen nach einer  Woche funktioniert  trotz Versicherung der sogenannten Reiseleiterin nichts. Der  deswegen angeschriebene Vorstandsvorsitzende Frenzel antwortet erst nach mehrfachen Interventionen, auch über den Aufsichtsratsvorsitzenden.  Die Antwort ist eher barsch und verweist auf die dann einlangende Antwort  eines Unterpräsidenten, der sich zwar entschuldigt, aber  keinerlei  Änderungen hinsichtlich der Monita in Aussicht stellt.
  4. Die P o s t b a n k des Herrn von Schimmelmann überweist  wegen einer Fehllesung einen  Überweisungsbetrag falsch. Als ihr das mitgeteilt wird, sperrt sie unser Konto, was sich dann aber nur als falsche Formulierung  erweist. Doch dauert es über einen Monat, bis sie die Differenz zwischen  dem Überweisungsbetrag und der Fehllesung wieder auf unser Konto bucht.  Sie entschuldigt sich zwar, erklärt aber die Dauer der Rücküberweisung mit Schwierigkeiten, die sich mit der Zielbank ergeben hätten, was uns natürlich gar nichts angeht. Die Vermutung des Zwangskredits in solchen Fällen drängt sich auf. Einspruch bei der zuständigen Bundesanstalt für Finanzdienst- leistungen. Keinerlei Hilfe, sondern ausflüchtige Antworten und Akzept eines nachgeschobenen Arguments der Postbank nach Monaten: eine Zahl sei nicht richtig zu lesen gewesen. Der angeschriebene „Erste Direktor“, Herr Bauer, läßt wahrscheinlich wegen „großer Belastung“durch einen Adlaten antworten, der nur das wiederholt, was seine Kollegin schon vorher unter Verzicht auf genaue Lektüre des Einspruchs formuliert hatte, und nicht einmal unterschreibt.
  5. Die Firma S a m s u n g  reagiert auf die Bitte, für ein neues Fotogerät eine     deutsche Gebrauchanweisung  zu schicken, zweimal gar nicht. Erst nachdem der  wohl koreanische Geschäftsführer für Deutschland,  Herr Kang, angeschrieben wird, erhalten wir die deutsche Fassung , allerdings ohne ein Wort der Entschuldigung, ja ohne jedes Wort und unter Beifügung des  Schreibens an Herrn Kang.
  6. Die Firma E a s y J e t  erschwert  Umbuchungen  durch absurde      Fehlinformationen  und  Sackgassen derart, daß man Stunden braucht, um eine Umbuchung zu erreichen. Für jede  verlangt sie (pro Strecke und pro Person) 30 €.

 

Die Bequemlichkeit, Lässigkeit, Impertinenz  großer Firmen bei der Kommunikation mit ihren Kunden, von denen sie doch leben, ist, wie man sieht, kaum noch zu übertreffen und begegnet von der  Telefonistin bis zum Vorstandsvorsitzenden in gleichem Maße und gleicher Weise.

Daß sich Raschheit, Interessiertheit , Freundlichkeit auf kleine Firmen zurückgezogen haben, deuten die folgenden Beispiele an:

           

  1. Bei einem Antiquitätengeschäft in einer kleinen Stadt in der Nähe von Münster wird  eine Uhr  zur Reparatur gegeben. Als wir sie abholen wollen, herrscht wegen eines  Volksfests im Ort im Geschäft große Bewegung, so daß  wir uns wieder entfernen. Doch schon am nächsten Tag ruft uns  die Inhaberin an, sie wolle uns die Uhr    bringen (mehr als 20 km), was auch geschieht
  2. Bei Bestellung einer Bleistiftzeichnung in einem  Kunstkabinett  in   Süddeutschland werden uns von der Inhaberin sehr präzise Auskünfte über diese Zeichnung gegeben.  Als wir sie nach einigen Tagen noch nicht erhalten haben, rufen wir  bei der Firma an. Der Vater der Inhaberin entschuldigt sich sehr, wegen eines privaten Geschäfts in Verzug geraten zu sein. Doch inzwischen sei  die Sendung zur Post gegeben worden, die uns auch am nächsten Tag erreicht. Man ruft uns daraufhin noch einmal an und erkundigt sich, ob wir die Zeichnung  bekommen hätten.
  3. Der Kauf von Moselwein in einem kleinen Ort bei Koblenz geriet ein wenig daneben, da  uns die alte Dame des Hauses statt einer Spätlese einen harmlosen Krätzer eingepackt hatte. Als wir das telefonisch monierten, wurde sofort versprochen, Ersatz zu  liefern, was auch alsbald geschah. Darauf noch einmal ein Anruf von der Mosel mit der Anfrage, ob alles in gutem Zustand angekommen sei. 

  

Man sollte also, wie die Beispiele lehren, große Firmen, wenn es irgend geht, meiden.

  

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VOM (EINSTIGEN) LEBEN

  

Erste Berliner Jahre(1959 – 1964)

  

Die Berliner Institutsatmosphäre (offiziell hieß es „Germanisches Seminar“ und war in der Boltzmannstr. in einem der Gebäude der früheren Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft untergebracht) - diese Institutsatmosphäre war wohltuend liberal und tolerant. Es gab  trotz der außerordentlichen Unterschiede  der Professoren und Kollegen soetwas wie eine Gemeinsamkeit, die sich ganz unhierarchisch in kleinen Parties und Festen v.a. bei  schon im Familienverbande lebenden Kollegen  zeigen konnte. In der Nähe des Instituts wohnte der Oberassistent Eberhard Mannack mit Frau und kleinen Kindern, der eine gewisse Suffisanz, aber auch Gastfreundschaft pflegte und sich damals schon  (aus welchen Gründen immer) mit dem Barock beschäftigte. Älter war auch der protestantische  Kollege Martens, wohl der erste Rat unserer sogenannten Neueren Abteilung,  einerseits  mit Lenau und Büchner, andererseits mit den Moralischen Wochenschriften der Frühaufklärung befaßt. Herr Markschies, auch schon bei Jahren, kam aus Leipzig als Schüler Korffs und war an der Fabeltheorie und  -geschichte interessiert. Bei ihm gab es wie bei Mannack und Martens schon Nachwuchs, der  z.B. heute an der Humboldt-Universität präsidiale Figur macht.Etwas später kam Herr Rappl, mir als Emrich-Schüler schon aus Köln bekannt. Er war ein sehr kluger Mann, der aber in Formalisierungen versank und unproduktiv wurde, als Rat sich darum mehr und mehr mit der Verwaltung des Instituts beschäftigte. Die Jüngeren waren neben Pestalozzi und mir  Herr Böschenstein aus der Schweiz, der das Esoterische seiner Themen mit der Bekanntschaft von tout le monde verband, was ich wohl nie so recht zu würdigen verstand. Er hatte eine gescheite Kollegin, seine spätere Frau Renate Schäfer, die auch menschlich schätzenswert war. In Erinnerung ist mir noch  der akademisch immer wieselige Herr Roloff.  Er, meine ich,  unterstützte den Ordinarius Walter Killy, einen kleinen emsigen Mann, der vielerlei  Handbuchartiges und dadurch Einkömmliches betrieb. Neben ihm und Emrich war Hans-Egon Hass einer der Direktoren, aus Bonn gekommen und  sich gern mit dem Air des ehemaligen Offiziers umgebend. Er ließ sich  etwas später mit der Edition Gerhart Hauptmanns ein. Etwa um 1961 kam Herr Catholy als  Extraordinarius aus Tübingen: ein bißchen sehr farblos und wie ich selbst mit der Komödie beschäftigt. Um diese Zeit kam auch Herr Lämmert aus Bonn, zunächst als Extraordinarius, dann rasch zum Ordinarius aufgestiegen,  der „Bauformen des Erzählens“ geschrieben hatte und damit bekannt geworden war. Er war ehrgeizig und meinte später  durch Assimilierung  an die ‚Fortschrittlichen’ sich aufzuhelfen,  wurde Präsident der Universität, was ihn aber eigentlich nur als Karrieristen gekennzeichnet hat. Von erheblich anderer Qualität war Peter Szondi, Staiger-Schüler wie  Pestalozzi, Verfolgter in Nazi-Tagen, Ungar, der nicht in sein Land zurückkonnte: ein sehr reflektierter Hermeneutiker, der in Texten das Verborgene fand, sich erst in Berlin habilitierte, dann nach einigen Semestern in Göttingen sehr jung den neuen komapartistischen Lehstuhl bekam. 

Daneben natürlich die Damen und Herren der sog.Älteren Abteilung mit dem Senior Helmut de Boor, der kaustisch sein konnte, einer der germanistischen Nazis gewesen war, aber durchaus erhebliche wissenschaftliche Verdienste hatte. Es war nicht von ungefähr, daß er an die Freie Universität  berufen wurde, denn diese vor  gut zehn Jahren gegründete Institution suchte nach ansehnlichen  Professoren, die dann sowohl aus dem braunen Staat wie auch aus der Emigration kamen. So war Richard Alewyn, bei dem ich noch in Köln gehört hatte, vielleicht aus Folgen solchen Zusammentreffens gerade wieder in den Westen gegangen. Eduard Neumann bereitete sich vor, Würde und Bürde des Rektorats zu übernehmen: Die damenhafte und scheu-strenge Frau Schröbler war eine der ersten Ordinariae im geisteswissenschaftlichen Bereich. Ich redete sie stets mit „Gnädige Frau“ an, was sie vielleicht gar nicht so sehr mochte. Um 1961 kam  Herr Gruenter aus Köln, dessen Hauptverdienst wohl in der Ausgestaltung seiner Ordinariatsräume und in der Abhaltung von Oberseminaren zu ungewöhnlichen Zeiten und in exquisiten Hotels bestand. Er betrachtete  die Wissenschaft  mehr als  Möglichkeit,  gesellschaftlich zu brillieren und eine ästhetizistische Attitude zu pflegen und war einer jener Blender, die der deutschen Universität und insbesondere der Germanistik nicht gut getan haben. Doch auch in diesem Felde gab es angenehme Kollegen. 

Nicht vergessen werden darf Herr Bangen, der immer mehr von der Beendigung einer Dissertation Abstand nahm, die er Alewyn in die Hand versprochen hatte, dafür aber immer mehr Institution innerhalb der Institution wurde, zunächst als Bibliothekar und Verfasser eines Studienleitfadens, später in den argen Jahren als Geschäftsführer des Instituts  und Bewahrer einer gewissen Ordnung. Als ich mit ihm  eines meiner ersten Geschäfte in Gestalt von Antiquariatskäufen absolvieren wollte, traten wir in die regenschwangere Novemberluft  Dahlems hinaus, was er mit den Worten kommentierte: „Fies’ Wetter, Herr A.“ 

Den angenehmsten Kontakt gab es aber zu Herrn Pestalozzi, vielleicht gerade weil wir  aus so vollkommen unterschiedlichen Sphären kamen. Von Anfang an waren wir  in einem lebhaften Gespräch. Auch teilten wir uns die Arbeit derart, daß er die Begleitung des Hauptseminars übernahm, ich die des Oberseminars, in dem sich alsbald  die interessiertesten und wohl auch besten  germanistischen Studenten versammelten. Zweifellos waren es Wilhelm Emrich, später dann auch Peter Szondi, die in den Jahren 1960 bis 1967 der Philosophischen Fakultät der Freien Universität im ganzen, aber natürlich insbesondere der Wissenschaft von der neueren deutschen Literatur zu ihrem bedeutenden Rufe verhalfen. 

Allmählich lernte man auch  Kollegen anderer Disziplinen kennen: die Philosophen Norbert Hinske und Wolfgang Müller-Lauter, den Religionswissenschaftler Klaus Heinrich, den klassischen Philologen Bernhard Kytzler, die Pädagogen  Gerd Doerry  und Harald Scholtz, den Anglisten Rudolf Villgradter. Als erster Ausländer wurde der japanische Germanist Yutaka Wakisaka begrüßt und betreut. Mit den Literaturwissenschaftlern  Volker Klotz,  Gerhard Schmidt-Henkel und Norbert Miller von Walter Höllerers Lehrstuhl an der TU bestand ein freundliches Verhätnis. Schön war es auch, eine Bekanntschaft aus dem Emrichschen Oberseminar in Köln wiederzufinden: Heinz Wenzel, inzwischen promoviert, war Leiter der Geisteswissenschaften, später Verlagsdirektor bei de Gruyter und lebte mit seiner kleinen Familie in Zehlendorf. Mit ihm wurden Pläne gemacht. Seit 1960 konkretisierten sich die in der Reihe „Komedia“, in der deutsche Komödien, eines der vernachlässigten Gebiete der Germanistik, kritisch ediert und nach einem Schema kommentiert wurden. Zur Mitherausgeberschaft lud ich Karl Pestalozzi ein. Wir brachten es im Laufe von zehn Jahren auf immerhin 17 Bände. 

Nach einigen typischen Anfangsschwierigkeiten beim Druck erschien 1960 meine Musil-Dissertation, die in  3. bzw. genauer 4. Auflage immer noch beim Verlag zu erwerben ist. Für den Heidelberger Verleger Wolfgang Rothe schrieb ich einen Überblick zur deutschen Satire des 20. Jahrhunderts und als Spezificum dazu eine Arbeit über Karl Kraus, die in seinen von Friedmann und O.Mann herausgegebenen Sammelbänden zur „Deutschen  Literatur im 20. Jahrhundert“ erschienen. Sehr fruchtbar war auch der Kontakt mit Joachim Günther, der mit Paul Fechter die „Neuen Deutschen Hefte“ gegründet hatte, in denen ich seit  Anfang 1962 Aufsätze und Rezensionen, aber auch Aphorismen, Fabeln und Kleine Prosa publizierte.

Eine umfangreiche Satire-Anthologie zum 20. Jahrhundert, die unter dem Namen „Gegen-Zeitung“ 1964 erschien, wurde mit großem Engagement und der Hilfe von Studenten vorbereitet. Vorher schon war ein kleines Buch über den modernen deutschen Roman publiziert worden. 

Die Jahre von 1959 bis 1964/65 waren eine äußerst lebendige Zeit, sowohl als Universitäts- wie als Berliner Jahre. Meine eigenen Proseminare  befaßten sich mit Satire und Komödie, zwei ganz und gar vernachlässigten  Gebieten, und  wahrscheinlich habe ich als erster ein Proseminar über Karl Kraus an einer deutschen Universität gehalten. Bald hatte man  auch einen Kreis von  wachen und kundigen Studenten gewonnen, mit denen man ein privates Colloquium z.B. über Tragödie und Trauerspiel unternehmen konnte.  Man wurde zu Vorträgen eingeladen. Es kam zu dem interessanten Versuch der sogenannten Universitätskurse, die in Zusammenarbeit mit den örtlichen Volkshochschulen abgehalten wurden. Die Kirchliche Hochschule beauftragte mich mit der Vertretung des dort vorhandenen Lehrstuhls für Literaturwissenschaft. In Mannheim fand unter dem Vorsitz von Emrich die Tagung des Deutschen Germanistenverbandes statt, für die ich allerhand Organisatorisches zu tun hatte. Und ein Jahr später,1963, konnte ich zusammen mit Beda Allemann  Kafkas „Von den Gleichnissen“  auf der Hochschulgermanistentagung in Bonn interpretieren. 

Berlin, das ich erst einmal besucht hatte, zeigte in der Isolierung einen eigentümlichen Reiz, den man auf die Formel bringen konnte: Synthese von Landgemeinde und Großstadt. Es war in der Nachkriegsentwicklung noch hinter dem Westen geblieben, aber hatte in vielem, v.a. in der Kultur Vorsprünge vor diesem, vielleicht bis auf  München und Hamburg. So konnte man z.B. Theo Lingen als einen bedeutenden Schauspieler in Sternheims „Kassette“ sehen, Martin Held gefiel in etlichen Rollen. Berlin  hatte drei Opernhäuser zur Verfügung, denn der Übergang in den Osten war noch mühelos. Gleichzeitig war man, fuhr man ein bißchen nach Westen, Süden oder Norden alsbald  im Grünen oder gar Ländlichen, was natürlich die Einengung nicht aufhob, aber doch die Vorstädte zu äußerst friedlichen Außenposten machte, wenn man die z.T. absurden Grenzeinfälle der DDR beachtete, in denen sich Brutalität und Kinderspiel auf bizarrste Weise vereinigten. Jedenfalls war, selbst im westlichen Zentrum, ein Moment von Ruhe zu spüren, wie es für eine ‚normale’ Großstadt ganz ungewöhnlich ist. Auch war West-Berlin noch frei von den oft kläglichen Versuchen in westdeutschen Städten, ein neues Stadtbild  zu produzieren. „Es gibt im äußeren Bild weniger Fiktionen als irgendwo sonst im Westen.“ 

Besuche in Ost-Berlin waren wie gesagt möglich. Man traf auf ein immer noch schlimm demoliertes Zentrum, das geradezu öde wirkte und nur auf der in den leeren Raum gebauten Stalinallee Ansätze zu  Geschäftigkeit zeigte. Sie wurde von uns Westlern v.a. für Bucheinkäufe oder Plattenerwerb genutzt, was natürlich offiziell untersagt war, wenn man  nicht mit ‚Devisen’ bezahlte.  Auch Gaststätten konnte man besuchen, die aus kleinbürgerlicher Perspektive das ‚Weltniveau’ anstrebten. Aber man  konnte auch beachtliche Aufführungen in der Staatsoper, der Komischen Oper und in Brechts  Theater am Schiffbauerdamm erleben.

Selten ging es  in die Bezirke der DDR: einmal nach Potsdam und Werder  mit allerhand pädagogischen Vermahnungen des Stadtführers, einmal in der Messezeit nach Leipzig, wo gerade die Oper fertig geworden war.

In Ost-Berlin traf man sich mit Wolfgang Hecht, der an der Potsdamer Pädagogischen Hochschule lehrte. Sein Manuskript für „Komedia“ nahm Herr Pestalozzi mit, der als Ausländer keine strengen Kontrollen an der Grenze zu fürchten hatte.

1961 nach dem Mauerbau:  Am 24. September notierte ich: „Seit ein paar Tagen wieder in B.[…] Hier ‚geht das Leben seinen gewohnten Gang’, d.h. jedes Gespräch kommt an irgendeiner Stelle zum Thema. Gleich am Freitag [22.] war ich an der Sektorengrenze. Am Potsdamer Platz stellen die Geschäftsleute, die bisher von den Ostsektorkunden lebten, Schilder auf: ‚Denkt an die Grenzgeschäfte’. Ein Lebensmittelhändler kam vor die Tür  und fragte, ob ich nicht eine Kleinigkeit brauche. An der Stresemannstr. unmittelbar an der Mauer vorbei: es ist so grotesk, daß man es für eine Fabrikumzäunung hält, denn Mauer innerhalb einer Stadt: was kann das anderes sein?

Viele Gespräche bereits. Tausend Meinungen und Ansichten. Immerhin: das Ende kann von einem Volkspolizeigefreiten ausgehen, der statt einer Tränengasbombe[…] zu einer Handgranate (aus Versehen) greift  Dann rollt alles ab nach Plan.“

10. Okt.: „Gestern diese beiden Dinge: Ein Studentenehepaar kommt zu P. u. mir, um zu berichten, daß sie Studenten aus dem Ostsektor herüberbringen können. Studenten der F.U. organisierten die Flucht durch die Abwasser-Kanäle.- In einem dreiseitigen Runderlaß macht der Senator des Innern auf richtige und unkorrekte Bezeichnungen für Berlin aufmerksam. So darf man bspw. West-Berlin schreiben, aber nicht Westberlin (in einem Wort). Und ‚Demokratisches Berlin’ im sowjetsektoralen Sinn (so das amtliche Adjektiv) ist verboten.“

28.Okt.: „Eben von der Friedrichstraße zurück,  wo seit der vorigen Woche zwischen Amerikanern und Volkspolizisten ständige Querellen vorkommen. Seit gestern 

Auffahrt russischer Panzer, auf der anderen Seite (des Übergangs) amerikanische. Unser Bezugssystem stimmt überhaupt nicht mehr. Wie soll man schildern, daß es sich hier um die gefährlichste Lage in der Welt  überhaupt handelt, daß der Mensch aber darauf reagiert, als handle es sich ums Oktoberfest. Die Straße ist voller promenierender Menschen, an der Absperrung Knäuel. Und auf der Straße Panzer, feldmäßig ausgerüstete Soldaten, aber gleichzeitig Verkehrspolizisten, die für die Absperrung sorgen, als  komme gleich ein Trachtenzug durch. Es ist, als erfülle sich die Prophetie der großen modernen Literatur wörtlich[…]

Die ‚Frankfurter Allgemeine’ schreibt: Mit dem Erscheinen sowjetischer Panzer an der Sektorengrenze habe sich die Lage faktisch normalisiert. So formuliert der zur Herrschaft gekommene Blödsinn:“

Im Frühjahr 1962 machte ich mich mit dem Kapitel über „Minna von Barnhelm“ an meine Habilitationsschrift. Dazu wurden von mir dringende private Stützungen gefordert, die belasteten. Dann kam der erwähnte Germanistentag in Mannheim und vieles andere. Dem übertriebenen Dictum vom „kleinen Dekan“, das wohl in unserer Verwaltung erfunden wurde, machte ich ein bißchen Ehre, als ich E.O., der in der Eifel zu versauern drohte, als Beauftragten für das Germanicum, eine Analogie zum Latinum für Ausländer an der F.U., empfehlen konnte. Sie wurde akzeptiert  und O., der sich immer gewünscht hatte, nach Berlin zu kommen, traf im Herbst ein. 

Seit Mitte 1963 zeigten sich  nervliche Belastungen drastischer, die Arbeit mußte häufiger unterbrochen werden. 

Bei dieser Erwähnung erinnere ich mich an  die Notwendigkeit eines kleinen Epitaphs für einen Mann, der mir viel geholfen hat: Es war der  längst verstorbene Mediaevist Herbert Kolb, zuletzt Ordinarius in München,ein Mann von großer Zuverlässigkeit und Aufrichtigkeit, der sich, ohne daß uns eine starke Freundschaft verband, dem Versuch entgegenstellte, mich wegen einer Weigerung  zu beschädigen. Dem dafür Verantwortlichen trat er in einer gemeinsamen Sitzung von Professoren und Assistenten, selbst gerade habilitiert, entgegen, so daß der Betroffene, immerhin ein Ordinarius, sich bald aus Berlin verabschiedete. Aber auch in den gesundheitlich schwierigen Jahren  erinnerte er sich meiner, besuchte und unterstützte mich. Es tut mir leid, daß ich seiner nicht während des Lebens  deutlicher und herzlicher gedacht habe. Er war ein Mann, nehmt alles nur in allem…

  

  

Nachtrag

Google-Transparenz ?

I
Ich will wenig von Google: nur, daß das Unternehmen die jeweils aktuelle Fassung meiner Website, jetzt „Zur Lage der Nation Nummer 17“, einigermaßen entsprechend deren Publikation anzeigt. Nummer 15 wurde z.B. schon eine Woche, nachdem sie im Netz veröffentlicht war, angezeigt, Nummer 16 erst nach vier Wochen, Nummer 17, die Anfang September erschien, wird bis heute (Mitte Oktober 2007) nicht genannt.Da ich nicht annehme, Google sei so schlecht organisiert, daß die Nichtanzeige Zufall ist, gibt es nur folgende Möglichkeiten:
Google bekommt nichts von mir, das ist richtig. Ich zahle Google nichts. Ich verkaufe nichts. Ich habe keine Links, ich bin nur einmal verlinkt. Ich will keine Beratung darüber, wie ich nach Googles Ansicht meine Website „noch erfolgreicher“ gestalten könne.
Genügt das, um Google von der Information abzuhalten?
Oder muß hinzukommen, daß ich bspw. große Firmen wie Renault, TUI, Postbank etc in Nummer 17 mit dem Vorwurf der Kundenunfreundlichkeit konfrontiert habe?

II
Schön ist es, in diesem Zusammenhang zu erfahren, daß andere Suchmaschinen wie Yahoo und deren Alliierte die Anzeige von Nummer 17 zeitgerecht veranstaltet haben. Aber man weiß nicht, wie es dazu, noch, wie es zu Googles Verhalten kommt.
Die größte Öffnung der sog. Öffentlichkeit, für deren Abgeschlossenheit ja z.B. die Medien immer nachdrücklicher sorgten, eben die des Internets, zeigt sich alsbald , nicht zuletzt dank eines fachlichen Kauderwelschs, als fast geisterhafte Blockade des Wichtigen.
Das Internet, einzig dadurch gerechtfertigt , daß es geistige Kapazitäten an die Öffentlichkeit bringt, bevorzugt alsbald die Wurst- und Käseproduzenten und deren Verwandte, weil sie Ökonomie betreiben und es eben nur auf den Betrieb von kaufen und verkaufen ankomme, obwohl schon für einen Achtjährigen deutlich zu machen ist, daß dies als solches das Nichtige schlechthin ist.

III
Selbst wenn es einen Ansatz gibt für die Publikation des Wichtigen wie etwa bei Wikipedia, so etabliert sich sehr rasch ein Kreis von Anonymen, die zwar nicht ökonomisch, aber in Machtkategorien denken und diese durch ihre Anonymität wie durch einen Jargon stabilisieren. Und wenn auf der einen Seite der sog. Vandalismus für die Zerstörung sinnvoller Texte sorgt, so sorgt die Schließung eines Artikels dafür, Einseitigkeit, ja Unsinn zu fixieren.

IV
Die Dialektik des Aberwitzes scheint unausweichlich: „Vernunft wird Unsinn, Wohltat Plage."

  

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Nummer 16 (April/Mai 2007) s. Archiv

 

INHALT: VON DER DEUTSCHEN GEGENWART: Deutsche Sätze aus dem 20. Jahrhundert II (H.A.) – Deutsches:unten und oben – Das wirklich Wichtige.

VON DER LITERATUR (UND VOM FILM): Barockes Trauerspiel (Gryphius und Lohenstein) 1.Teil – The Queen. VON DER DEUTSCHEN POLITIK: Filsers Erben. 

VON DER DEUTSCHEN WIRTSCHAFT: Der Erbe Burda. VOM JOURNALISMUS: Medieninformationen – Wie der „Spiegel“ vom Islam redet (Nachtrag, s. Nummer 15).

VOM INTERNET: Wikipedia, -media, -taedia.VOM HEUTIGEN DENKEN: Gebildeter Leser(nach Giorgio Agamben). VON DER RELIGION: Gott und Teufel. VOM (EINSTIGEN) LEBEN: Akademische Anfangsjahre (1957 – 1959). Neue Titel.

  

Die Nummern 1 – 16 s. Archiv  

   

s. Register der Nummern 1 – 15 von „Zur Lage der Nation“, hrsg. von Helmut Arntzen.

  

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